Betrachtungstext: 7. Osterwoche – Sonntag (C)

Die Einheit als Frucht des Wirkens des Beistands – Mit der Gabe der Erkenntnis Gott in der Schöpfung sehen – Alles in Christus wiederherstellen

IM HOHEPRIESTERLICHEN GEBET wendet sich der Herr in einem einzigartigen Dialog in Gegenwart der Jünger an seinen Vater: Heiliger Vater, ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben. Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast (Joh 17,20-21). Die Einheit der Jünger und künftig aller Glaubenden wird für die Welt ein Zeugnis sein, sie ist mit natürlichen Kräften allein jedoch nicht zu erlangen, wie Papst Benedikt erklärt: „Die zentrale Bitte des hohepriesterlichen Gebets Jesu, das seinen Jüngern aller Zeiten gewidmet ist, ist die Bitte um die zukünftige Einheit derer, die an ihn glauben werden. Diese Einheit ist kein weltliches Produkt. Sie entspringt ausschließlich der göttlichen Einheit und gelangt zu uns vom Vater durch den Sohn und im Heiligen Geist. Jesus bittet um ein Geschenk, das vom Himmel kommt.“1 Die Einheit, um die Christus für uns betet, ist, so der Papst, zum einen „eine verborgene Wirklichkeit, die im Herzen der gläubigen Menschen liegt. Gleichzeitig muss sie in aller Deutlichkeit in der Geschichte sichtbar werden (…), damit die Welt glaubt (ebd.).“  Sie hat einen praktischen und konkreten Zweck: „Sie muss sichtbar werden, damit alle wirklich eins sind (ebd.).“

Die Einheit der Jünger ist kein Menschenwerk, sondern, wie Benedikt betonte, „Einheit mit Christus, den der Vater in die Welt gesandt hat (ebd.).“ Jesus, das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende (Offb 22,13), ist Fundament und Quelle der Einheit. Wenn wir den Eröffnungsvers der heutigen Messe beten, wollen wir auf Gottes Weisung, sein Angesicht zu suchen, daher mit fester Überzeugung antworten: Dein Angesicht, Herr, will ich suchen (Ps 27,9). Die erste Lesung führt uns das unerschrockene Sterben des Diakons Stephanus vor Augen. Der erste Märtyrer der Christenheit bezeugt, erfüllt vom Heiligen Geist (Apg 7,55), dass die Treue zu Christus mehr wert ist als das Leben. Und wie sein Meister bat er sterbend um Vergebung für seine Mörder. Jeder Akt der Vergebung, jede Bemühung um Verständigung und gegenseitiges Verständnis ist ein Beitrag zur Einheit und eine Frucht des Wirkens des Heiligen Geistes. Bauen wir auf seine Hilfe, wenn wir versuchen, den Ratschlag des heiligen Josefmaria umzusetzen: „Strenge dich notfalls an, denjenigen immer und vom ersten Augenblick an zu vergeben, die dich beleidigen; denn auch wenn der Schaden oder die Beleidigung noch so groß ist, hat Gott dir mehr vergeben.“2


DER HAGIOGRAPH beschließt jeden Schöpfungstag mit dem Kommentar: Gott sah, dass es gut war (Gen 1,10.12.18.21.25). Der Schöpfer selbst scheint darüber zu staunen, was seinen Händen entsprungen ist, und lädt uns ein, diese Schönheit zu bewundern und zu wahren. Die Schöpfung ist eine unschätzbare Gabe Gottes, ein Brief, den Gott an uns geschrieben hat. Im Licht des Heiligen Geistes lernen wir, seine unendliche Liebe zu uns darin zu lesen. Nach der Erschaffung des Menschen erhält der Kommentar eine Nuance: Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut (Gen 1,31). Die Heilige Schrift betont, dass der Mensch für Gott etwas Besonderes ist; in seiner Schönheit hebt er sich von der übrigen geschaffenen Welt ab. Mit der Gabe der Erkenntnis, die „nicht Erkenntnis im technischen Sinne ist, wie sie an der Universität gelehrt wird, sondern Erkenntnis im tieferen Sinne“, wie Benedikt XVI. bei einer Begegnung mit Firmlingen erklärte, sehen wir alles, was uns umgibt ‒ vor allem die anderen Menschen ‒ als Gottes Werk, wir lernen „in der Schöpfung die Zeichen, die Spuren Gottes zu finden, zu verstehen, wie Gott zu jeder Zeit spricht, wie er auch zu mir spricht.3 Die Gabe der Erkenntnis befähigt uns, die Gegenwart und Majestät des Schöpfers in allem, was uns widerfährt, und in der ganzen Schöpfung aufzufinden.

So entdecken wir, wie Johannes Paul II. sagte, „die theologische Bedeutung der Schöpfung4. Über der Gabe der Erkenntnis drängt uns der Heilige Geist zum spontanen Lobgebet, das sich in Danksagungen und Hymnen, in Lobpreisungen und Psalmen ausdrückt. Der Lobpreis ist ein Gebet, das Gottes Größe anerkennt und preist. Es juble die Erde! Freuen sollen sich die vielen Inseln. Freut euch am Herrn, ihr Gerechten (Ps 97, 1.12), freuen wir uns heute mit dem Psalmisten. „Ehre sei dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist“, beten wir mehrmals am Tag. Es ist wie das „Heilig, heilig, heilig“, das wir in der Heiligen Messe anstimmen, Ausdruck dieses Wunsches, den Schöpfer zu ehren.

Der Lobpreis ist im Buch der Psalmen besonders präsent, mit Liedern und Anrufungen, die das Volk Israel im Gottesdienst zu singen pflegte. Der Psalmist, ein Modell des christlichen Beters, singt angesichts der Schönheit des Geschaffenen von seiner Liebe zum Schöpfer: Herr, unser Herr, wie gewaltig ist dein Name auf der ganzen Erde (Ps 8,2); die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes und das Firmament kündet das Werk seiner Hände (Ps 19,2); lobt den Herrn vom Himmel her, lobt ihn in den Höhen (...). Lobt ihn, Sonne und Mond, lobt ihn, all ihr leuchtenden Sterne (Ps 148,1.3). Mit den Gaben des göttlichen Beistands erleben wir die Welt schöner und strahlender: Wir lernen, alles mit dankbaren Augen zu sehen und so zu lieben, wie Gott es liebt; wir entdecken die Spuren Gottes in jedem Wesen und wissen uns so von ihm begleitet.


SOBALD WIR die Größe der Schöpfung entdecken, lässt uns die Gabe der Erkenntnis nach Worten von Johannes Paul II. auch „den wahren Wert der Geschöpfe in ihrer Beziehung zum Schöpfer erkennen5. So hilft uns der Heilige Geist, zwischen den Dingen und Gott zu unterscheiden und die unendliche Distanz zu entdecken, die sie voneinander scheidet. Wir geraten daher nicht in die Versuchung, geschaffene Dinge zu Götzen zu machen, die uns von Gott trennen. Der heilige Josefmaria schrieb: „Wir lieben die Welt, weil Gott sie gut gemacht hat, weil sie vollkommen aus seinen Händen hervorgegangen ist – auch wenn manche Menschen sie durch die Sünde manchmal hässlich und schlecht machen –, und weil es unsere Pflicht ist, sie Gott zu weihen, sie ihm zuzuführen, sie ihm zurückzugeben: in Christus alles im Himmel und auf Erden wiederherzustellen (vgl. Eph 1,10).“6

Wir haben gerade das Hochfest Christi Himmelfahrt begangen. Der Herr hat uns erlöst und ist aufgestiegen zur Rechten des Vaters. Davor hat er uns, seine Jünger, beauftragt, uns mit ihm zu vereinigen, in einem heiligen Leben, das alles heiligt, was es berührt. Daher hatte Jesus seinen Vater davor noch um etwas anderes gebeten: Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst (Joh 17,15). Er will uns an unserem Platz haben, in unserer Arbeit, inmitten der Gesellschaft, in der wir leben, „in der Welt, aber nicht von der Welt“7, wie es in einer der frühesten christlichen Schriften, im berühmten Brief an Diognet, heißt, um sie zu heiligen, zu verwandeln, um alles, was wir in Händen haben, Gott zu Füßen zu legen und, mit Worten des heiligen Josefmaria, „Christus zum Ziel allen menschlichen Tuns zu erheben“8.

Mit der Gabe der Erkenntnis haben wir die Möglichkeit, erklärte Papst Benedikt, „mit dem Evangelium die tägliche Arbeit zu beseelen (...) und so der Arbeit, auch der schwierigen Arbeit, Würze zu verleihen“9; diese Gabe wird uns helfen, alles nach dem Wunsch Gottes zu gestalten. Indem wir uns auf Maria, die Mutter des Schöpfers, besinnen, lernen wir, die Welt mehr zu lieben und die Hände zu preisen, die alles um uns herum geformt haben.


1 Benedikt XVI., Audienz, 25.1.2012.

2 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 452.

3 Benedikt XVI., Ansprache, 2.6.2012.

4 Hl. Johannes Paul II., Audienz, 23.4.1989.

5 Ebd.

6 Hl. Josefmaria, Briefe 23, Nr. 6.

7 Brief an Diognet, Nr. 6, zitiert in: Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 63.

8 Hl. Josefmaria, Gespräche, Nr. 59.

9 Benedikt XVI., Ansprache, 2.6.2012.

Foto: Tim Mossholder/unsplash