Betrachtungstext: 4. Oktober – Heiliger Franz von Assisi

Armut, Weg zu Gott – Der Schatz der Armen im Geiste – Im Dienst der anderen

ALS DER HEILIGE FRANZ von Assisi einmal in der zerfallenen Kapelle San Damiano vor einer Kreuzikone betete, hörte er die Worte: „Geh, Franziskus, und stelle mein Haus wieder her. Wie du siehst, liegt es in Trümmern.“ Franziskus nahm diese Inspiration wörtlich und machte sich daran, kleine zerstörte Kapellen rund um Assisi zu renovieren. Später verstand er, dass Gott nicht nur die Gotteshäuser meinte, sondern die Menschen, das heißt die Christen seiner Zeit. Und diese Wiederherstellung sollte durch die Loslösung von materiellen Gütern erfolgen. Als er ein anderes Mal die Worte Jesu hörte: Steckt nicht Gold, Silber und Kupfermünzen in euren Gürtel! (Mt 10,9), entledigte er sich all seines Besitzes und begann ein Leben, das allein der Verkündigung des Evangeliums gewidmet war.

Franz von Assisi war ein Heiliger, der unter anderem die tiefe Verbindung zwischen Armut und dem Weg zu Gott wiederentdeckt hatte. Alle sind wir berufen, diesen Weg zu gehen, mit den Besonderheiten, die der Berufung eines jeden zu eigen sind. „Wer die Tugend der Armut nicht liebt und nicht lebt“, erinnert uns der heilige Josefmaria, „hat den Geist Christi nicht. Das gilt für alle: für den Einsiedler, der sich in die Wüste zurückzieht, ebenso wie für den gewöhnlichen Christen, der mitten in der Gesellschaft lebt.“1 Mit anderen Worten: Auch wenn die Situation dieser Menschen äußerlich sehr verschieden ist, können sie alle die Armut in echt christlichem Geist leben.

Der heilige Josefmaria gab Christen, die mitten in der Welt leben, einige Anregungen dazu: sich keine Bedürfnisse schaffen, die Dinge pflegen, auf etwas verzichten, dem anderen das Bessere lassen, Unannehmlichkeiten mit Freude annehmen, sich nicht beschweren, wenn etwas fehlt ... Gleichzeitig wies er darauf hin, dass es nicht so sehr darum geht, nach einer Reihe von Kriterien zu leben, sondern „auf die innere Stimme“ zu hören, „die uns aufmerken lässt, wenn Egoismus und Bequemlichkeit ungebührlich eindringen“.2 Der heilige Franz von Assisi möge uns erleuchten, damit wir sehen, wie wir den Weg der Armut gehen können, der zum Glück bei Christus führt.


SELIG, DIE ARM sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich (Mt 5,3): So beginnt Jesus die Bergpredigt. Der Meister bietet jenen, die ihre Sicherheit und ihren Reichtum auf Gott setzen, das Glück auf Erden und im Himmel an. Papst Benedikt lehrte in diesem Sinn: „Es ist Ausdruck von Weisheit und Tugend, sein Herz nicht an die Güter dieser Welt zu hängen, weil alles vorübergeht, weil alles ganz plötzlich zu Ende sein kann. Der wahre Schatz, den wir unablässig suchen sollen, besteht für uns Christen in dem, was oben ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt (Kol 3,1).“3

Die Tugend der Armut führt uns dazu, unser Verhältnis zu den Gütern, die Gott geschaffen hat, mit Weisheit zu erfüllen. Die arm sind im Herzen, erfreuen sich der Dinge, ohne von ihnen besessen zu sein; sie wissen in ihrem Inneren die in ihnen vorhandene verführerische Neigung zu erkennen, unser Leben sogar unbewusst so zu gestalten, als hinge unser Glück im Wesentlichen von dem ab, was wir haben. Die Armut lässt uns erkennen, wie trügerisch viele materielle „Sicherheiten“ oder wie flüchtig gewisse Wonnemomente sind, die nicht die Tiefe der Seele berühren. Die Armut des Geistes ermöglicht es uns schließlich, die Wirklichkeit wahrhaft zu genießen, denn sie verbindet uns mit dem Einfachen, mit den Menschen, mit Gott, unabhängig von den äußeren Umständen.

Der heilige Franz von Assisi betrachtete die Armut als seine Herzensdame: „Sie verleiht den Seelen, die sie lieb haben“, so schrieb der Heilige, „in diesem Leben schon die Leichtigkeit, in den Himmel zu fliegen, denn sie bewahrt die Waffen der wahren Demut und Liebe.“4 Auch wenn wir manchmal meinen können, dass Wohlstand und Bequemlichkeit der Schlüssel zum Glück sind, ist die menschliche und christliche Erfahrung eine andere; wir erkennen, dass die wahre Freude eines Menschen sich eher an der Tiefe und Echtheit seiner Beziehungen bemisst. Das ist der Reichtum der Armen im Herzen.


DER HEILIGE PAULUS schreibt in seinem Brief an die Galater: Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe! (Gal 5,13). Und dann erinnert er an zwei Gebote: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! (Gal 5,14) und einer trage des anderen Last (Gal 6,2). Die Tugend der Armut führt auch dazu, dass wir die Verantwortung spüren, uns im Dienst der anderen einzusetzen, insbesondere der Schwächsten. So ruft Papst Franziskus aus: „Wir können nicht mit ruhigem Gewissen zuschauen, wenn ein Mitglied der menschlichen Familie ins Abseits gestellt wird und zum Schatten wird. Der leise Schrei der vielen Armen muss immer und überall das Volk Gottes an vorderster Front antreffen, damit es ihnen eine Stimme verleiht, sie verteidigt und sich mit ihnen (...) solidarisiert.“5

Wenn Jesus seine Jünger einlädt, Freunde des Reichtums zu werden (vgl. Lk 16,9), so tut er dies, weil er sie im selben Zug dazu auffordert, diese Güter in Beziehungen umzuwandeln, die von Gott erhaltenen Gaben also für das Wachstum der anderen einzusetzen. Papst Franziskus verspricht: „Wenn wir es fertigbringen, Reichtümer in Werkzeuge der Brüderlichkeit und Solidarität zu verwandeln, wird uns im Paradies nicht nur Gott willkommen heißen, sondern auch diejenigen, mit denen wir geteilt haben, indem wir das, was der Herr in unsere Hände gelegt hat, gut verwaltet haben.“6

Das ist es, was der heilige Josefmaria bei vielen Menschen erlebte. Konkret nannte er eine ältere begüterte Dame, „die für ihren täglichen Bedarf keine zwei Peseten benötigte. Hingegen entlohnte sie freigebig ihre Dienerschaft und half mit dem Rest Bedürftigen, während sie sich selbst vieles versagte. Sie besaß viele Güter, die andere begehrten, war persönlich aber arm, selbstvergessen und von allem vollkommen losgelöst.“7 Wir bitten Maria, uns zu helfen, mit einer solchen Armut des Geistes zu leben, dem Weg, der uns zu Gott führt, das heißt, zu unserem eigenen Glück und dem der anderen.


1 Hl. Josefmaria, Gespräche, Nr. 110.

2 Ebd., Nr. 111.

3 Benedikt XVI., Angelus-Gebet, 5.8.2007.

4 Hl. Franz von Assisi, Die Blüthen des Heiligen Franziskus, 13.

5 Franziskus, Botschaft, 13.6.2020.

6 Franziskus, Angelus-Gebet, 22.9.2019.

7 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 123.

Foto: Roman Odintsov (pexels)