Betrachtungstext: 34. Woche im Jahreskreis – Montag

Auf Jesus schauen, der Licht für unser Leben ist – Gott fordert alles von uns, um uns glücklich zu machen – Die Hingabe an Gott wird Hingabe an die anderen

DIESE LETZTE WOCHE im Jahreskreis erinnert uns daran, dass das irdische Leben kurz ist im Vergleich zum Leben danach. Dies soll uns anspornen, jede Gelegenheit für eine Begegnung mit dem Herrn zu nutzen. Den heiligen Augustinus überkam Angst bei dem Gedanken, dass Jesus bei ihm vorbeikommen und er es nicht bemerken könnte. Er fühlte die auf Erden normale Ungewissheit, ob er in der Lage sein werde, die Gegenwart Gottes, das Licht für unseren Weg, stets zu erkennen.

Papst Franziskus schrieb in seiner Enzyklika Lumen Fidei: Das christliche Bekenntnis von Jesus als einzigem Retter besagt, dass das ganze Licht Gottes sich in ihm, in seinem ,gelichteten Leben‘ konzentriert hat, in welchem sich der Anfang und das Ende der Geschichte enthüllen. Es gibt keine menschliche Erfahrung, keinen Weg des Menschen zu Gott, der von diesem Licht nicht aufgenommen, erleuchtet und geläutert werden könnte.1 Das Licht des Glaubens verleiht der Seele des Christen Frieden und Zuversicht. Christus, Licht vom Licht, wahrer Gott, gibt allem, was wir tun, seinen vollen Sinn. Deshalb liegt es in unserem Interesse, sein Antlitz unablässig zu suchen, das in unseren Handlungen, in unserer Liebe und unserem Streben gegenwärtig wird.

Wir wollen in diese letzte Woche des Kirchenjahres mit einem fest auf Jesus gerichteten Blick hineingehen, der als Auferstandener sagte: Seht meine Hände und meine Füße an (Lk 24,39). „Ansehen, anschauen ist nicht nur sehen“, erklärte einmal Papst Franziskus. „Es ist mehr, es schließt die Absicht, den Willen ein. Deshalb ist es auch eines der Verben der Liebe. Die Mutter und der Vater schauen ihr Kind an, die Verliebten schauen einander an, der gute Arzt schaut seinen Patienten aufmerksam an … Das Anschauen ist ein erster Schritt gegen die Gleichgültigkeit, gegen die Versuchung, den Blick von den Schwierigkeiten und Leiden der anderen abzuwenden. Anschauen. Sehe ich Jesus oder schaue ich ihn an?2


VOR DER PROPHETISCHEN REDE, in der Christus das Ende Jerusalems und der Welt ankündigt, spielt sich inmitten des Tempellebens eine diskrete Szene ab. Eine bescheidene Frau opfert dem Allerhöchsten alles, was sie hat. Obwohl es niemandem auffällt, entgeht es Jesus nicht. Sie hat mehr hineingeworfen als alle anderen (Lk 21,3), erklärt er den Menschen um sich herum. Die Haltung dieser Witwe wurde zu einem von Christus persönlich erwählten Bild für die Beziehung des Menschen zu Gott. „Der Herr schaut nicht auf die Gaben“, kommentiert ein Kirchenvater, „sondern auf den guten Willen. In allem müssen wir also guten Willen, Liebe zu Gott haben. Wenn wir alles mit Liebe tun und selbst wenn wir nur Weniges geben können, weil wir nur Weniges haben, wird Gott von uns sein Antlitz nicht abwenden und unsere Gabe annehmen, als ob wir Großes und Erstaunliches geleistet hätten.3

Die freundschaftliche Beziehung zu Gott, die die christliche Berufung kennzeichnet, erfordert eine Antwort, die das ganze Leben umfasst. Wir können nicht untätig bleiben, nachdem wir ihm begegnet sind. „Der Herr weiß“, stellte der heilige Josefmaria fest, „dass Verliebte immer schenken wollen, und so sagt er uns, was er sich von uns wünscht. Ihn interessieren weder Reichtümer noch die Früchte oder Tiere der Erde, des Meeres oder der Luft, denn all dies gehört ihm. Er wünscht sich etwas Intimes, das wir ihm aus freien Stücken geben sollen: Gib mir dein Herz, mein Kind (Spr 23, 26). Seht ihr? Es genügt ihm nicht zu teilen, er will alles. Er sucht nicht nach unseren Gütern – noch einmal: Er will uns selbst. Von hier, und nur von hier, gehen alle weiteren Geschenke aus, die wir dem Herrn geben können.4

Jesus lädt uns ein, ohne Aufsehen alle unsere Münzen einzubringen. Diese Entscheidungen, die wir tief in unserem Inneren treffen, diese Offenheit für das Licht des Glaubens werden uns zu einer unvergleichlichen Freude führen. Die arme Witwe gab alles, sie verließ den Tempel jedoch bereichert, da Gott auf sie geschaut hatte. Und sie war so glücklich, dass sie nicht einmal zu wissen brauchte, dass sie im Laufe der Geschichte für so viele Menschen ein Beispiel sein würde.


DIE WITWE, auf die das heutige Evangelium unseren Blick lenkt, „hätte“, wie Papst Franziskus erklärt, „aufgrund ihrer äußersten Armut nur ein Geldstück als Opfergabe für den Tempel geben und das andere für sich behalten können. Doch sie möchte mit Gott nicht ,halbe-halbe machen‘: Sie verzichtet auf alles. In ihrer Armut hat sie erkannt, dass sie alles hat, wenn sie Gott hat. Sie fühlt sich vollkommen von ihm geliebt und liebt ihn ihrerseits vollkommen. Heute sagt Jesus auch uns, dass der Maßstab nicht die Menge, sondern die Fülle ist. (…) Es geht nicht um den Geldbeutel, sondern um das Herz.5

Diese Fülle, mit der wir uns dem Herrn hingeben wollen, die keine Berechnungen anstellt und uns wahrhaft glücklich machen wird, fließt stets über in die Hingabe an die anderen. Sie erfüllt uns mit der Liebe Gottes, die weitergegeben werden möchte. Die zwei Münzen, die die Witwe dem Herrn am Eingang des Tempels spendet, werden zur alltäglichen Art und Weise, uns für andere einzusetzen. Wer Gott gegenüber großzügig ist, ist es auch gegenüber dem Nächsten.

Angesichts der Bedürfnisse des Nächsten“, fährt der Heilige Vater fort, „sind wir dazu aufgerufen, auf Unverzichtbares zu verzichten, nicht nur auf das im Überfluss Vorhandene. Wir sind dazu aufgerufen, die notwendige Zeit zu schenken, nicht nur die, die übrig bleibt. Wir sind dazu aufgerufen, sofort und vorbehaltlos ein Talent von uns bereitzustellen, nicht erst nachdem wir es für unsere eigenen Ziele oder die einer Gruppe genutzt haben. Bitten wir den Herrn, dass er uns in die Schule dieser armen Witwe aufnimmt, die Jesus zum Erstaunen der Jünger auf den Lehrstuhl steigen lässt und als Lehrerin des lebendigen Evangeliums vorstellt. Durch die Fürsprache Marias, der armen Frau, die ihr ganzes Leben Gott für uns hingegeben hat, wollen wir um das Geschenk eines armen Herzens bitten, das jedoch reich an froher und unentgeltlicher Großherzigkeit ist.6


1 Franziskus, Enz. Lumen Fidei, Nr. 35.

2 Franziskus, Regina Coeli, 18.4.2021.

3 Hl. Johannes Chrysostomus, Homilien über den Brief an die Hebräer, I, 3.

4 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 35.

5 Franziskus, Angelus-Gebet, 8.11.2015.

6 Ebd.