Betrachtungstext: 33. Woche im Jahreskreis – Mittwoch

Die von Gott uns verliehenen Gaben ins Spiel bringen – Berufen zur Erlösung der eigenen Zeit – Den eigenen Talenten nicht misstrauen

AUF DEM WEG nach Jerusalem, nahe der heiligen Stadt, erzählte Jesus der Schar von Jüngern, die ihn begleitete, das Gleichnis vom anvertrauten Geld (vgl. Lk 19,11-27): Ein Mann, der zum König bestimmt war und in ein fernes Land reisen musste, übertrug einer Handvoll Diener sein Vermögen in der Erwartung, dass sie es gewinnbringend einsetzen würden. Jeder Diener erhielt denselben Betrag: eine Mine, was einem halben Kilo Silber entsprach.1 Und mit unmissverständlichen Worten gab der Herr allen die gleiche Anweisung: Macht Geschäfte damit, bis ich wiederkomme! (Lk 19,13).

Der Blick auf unsere eigenen Talente hilft uns zu erkennen, welch großes Vertrauen der Herr in uns setzt. Unsere Mine ist unsere einzigartige und persönliche Art, an der Sendung Gottes teilzunehmen. Es sind Gaben, die wir in die Kirche, in die Welt und in die Gesellschaft einbringen. Zusätzlich haben wir das wertvolle Geschenk des Glaubens an Christus erhalten und die Möglichkeit, durch die Sakramente sein Leben zu leben – alles in allem „unauslotbare Schätze der Liebe, des Erbarmens und der Zuneigung“2, wie der heilige Josefmaria sagte. Es sind kostbare und überaus große Verheißungen, wie es im zweiten Petrusbrief heißt, damit wir durch diese Anteil an der göttlichen Natur (2 Petr 1,4) erhalten.

Der im Gleichnis erwähnte zukünftige König vertraut seinen Dienern und ihren Fähigkeiten und gewährt ihnen einen weiten Spielraum für ihre Eigeninitiative. Er erspart ihnen detaillierte Anweisungen zu dem, was sie zu tun haben, und überlässt ihnen alles selbst. Zwei von ihnen erfassten dies rasch und verstanden es, im Rahmen der weitreichenden Pläne ihres Herrn frei und großzügig zu handeln. Sie erlebten das Vertrauensangebot ihres Herrn als eine Aufforderung, ihre Talente zu entfalten und sich für ihre Mitbürger zu öffnen. Damit setzten sie auch die Empfehlung aus dem ersten Petrusbrief um: Dient einander als gute Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes, jeder mit der Gabe, die er empfangen hat (1 Petr 4,10-11).


ALS ER die Königswürde empfangen hatte und zurückkehrte, da ließ er die Diener, denen er das Geld gegeben hatte, zu sich rufen. Er wollte sehen, welchen Gewinn sie bei ihren Geschäften erzielt hatten (Lk 19,15). Die ersten beiden Diener ernteten einen großzügigen Lohn für ihre Arbeit: Sie hatten den ihnen anvertrauten Schatz fruchtbar vermehrt. Der König freute sich und lobte jeden einzelnen mit den Worten: Sehr gut, du bist ein guter Diener. Weil du im Kleinsten zuverlässig warst … (Lk 19,17).

Die heilige Teresa von Kalkutta gibt uns zu bedenken: „Die Gaben, die Gott uns gegeben hat, gehören nicht uns, sondern sind uns gegeben, damit wir sie zur Ehre Gottes gebrauchen. Lasst uns großzügig sein und alles, was wir haben, für den guten Meister einsetzen.“3 Üblicherweise werden wir dieses „Geschäft“ in den gewöhnlichen Umständen unseres Lebens betreiben, im Alltäglichen, in den Aufgaben und Beziehungen, die in den Augen der Welt möglicherweise unbedeutend erscheinen. „Was immer wir tun, auch wenn es nur darum geht, jemandem über die Straße zu helfen, wir tun es für Jesus. Selbst wenn man jemandem ein Glas Wasser reicht, gibt man es Jesus, schloss die Heilige. „Gott zählt auf unsere tägliche Entsprechung, die aus vielen kleinen Dingen besteht, die durch die Kraft seiner Gnade groß werden.“4

Was kann der Mensch Gott bieten?“, fragte der erste christliche Schriftsteller, Origenes. „Seinen Glauben und seine Liebe. Das ist, worum Gott den Menschen bittet (...). Es gibt solches, was Gott dem Menschen schenkt, und es gibt anderes, was der Mensch Gott darbringt.“5 In Wirklichkeit ist die Tatsache, dass Gott uns die Möglichkeit anbieten wollte, sehr viel Gutes zu tun, statt es selbst zu tun, selbst ein geheimnisvolles Geschenk. Das Gleichnis zeigt, dass unser Herr möchte, dass wir ihm mit unseren Fähigkeiten helfen, sich um unsere Mitmenschen zu kümmern und die Welt umzugestalten; das göttliche Vertrauen in uns bewirkt Vielfalt und Pluralität. Der Auftrag lautet, wie der heilige Josefmaria sagte: „Jede Generation von Christen muss ihre Zeit erlösen und heiligen.“6


DER DRITTE Diener im Gleichnis hatte weder die Interessen seines Herrn vor Augen, noch beabsichtigte er, das Geld zu investieren. Seine Sorge galt allein seiner eigenen Sicherheit. Er hüllte die erhaltene Gabe in ein Tuch, um sie später unversehrt zurückzugeben. Herr, siehe deine Mine (Lk 19,20). Im Gegensatz zu den zwei anderen Kollegen hat sich dieser Diener, wie der heilige Josefmaria sagte, „ohne jedes Verantwortungsgespür für die bequeme Lösung entschieden, nämlich zurückzugeben, was ihm anvertraut wurde. Nunmehr wird er die Zeit totschlagen: Minuten, Stunden, Tage, Monate, Jahre, das ganze Leben!7 Maß er sich an den anderen Dienern, dachte er vielleicht, dass ihn die Aufgabe überforderte, weshalb er den risikofreien Weg wählte. So verpasste er das Abenteuer, seine wertvollen Talente unter Beweis zu stellen.

Als der König zurückkehrte, machte er diesem Knecht schwere Vorwürfe wegen seiner Nachlässigkeit; er sei ein schlechter Diener (Lk 19, 22) gewesen, sagte er ihm, da er das ihm anvertraute Kapital nicht ertragreich eingesetzt habe. Die Münze in einem Tuch zu verstecken, kommentiert der heilige Beda, „ist gleichbedeutend wie die empfangenen Gaben unter der Tatenlosigkeit einer weichlichen Faulheit zu begraben (...). Er wird als ,schlechter Diener‘ bezeichnet, weil er faul war bei der Erfüllung seiner Pflicht.“8 Zwischen der Angst zu scheitern und dem Wunsch, sich das Leben nicht zu verkomplizieren, verspielte er das Glück, zu dem er berufen war und das seine Vorstellung weit übertraf.

Vor uns liegt eine große Aufgabe“, erinnerte uns der heilige Josefmaria. „Es ist undenkbar, passiv zu bleiben, denn der Herr sagt uns ausdrücklich: Treibt Handel, bis ich wiederkomme. Während wir auf die Rückkehr des Herrn warten, der wiederkommen wird, um sein Reich ganz in Besitz zu nehmen, können wir nicht die Arme verschränken.“9 Unsere Mutter, die selige Jungfrau, eilte zu ihrer Cousine, um mit ihr ihre Freude zu teilen; nicht eine Sekunde lang vergrub sie die Gnade, mit der Gott sie erfüllt hatte. Wir bitten sie, ihre Kühnheit mit uns zu teilen, die Talente, die Gott uns gegeben hat, zum Einsatz zu bringen.


1 Mine ist eine Währungseinheit in der Antike für große Beträge und eine Gewichtseinheit. Edelmetalle (Gold oder Silber) wurden zur Bezahlung von Waren abgewogen, die Grundeinheit war der Schekel (hebr. “Gewicht”). 60 Schekel entsprechen einer Mine, 60 Minen ergeben 1 Talent. 1 Mine = ca. 570 g, später 327,45 g Silber oder Gold.

2 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 162.

3 Hl. Teresa von Kalkutta, El amor más grande, Kap. 5.

4 Fernando Ocáriz, Im Licht des Evangeliums, S. 67.

5 Origenes, Homilien zum Buch Numeri, Nr. 12, 3.

6 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 132.

7 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 45.

8 Hl. Beda der Ehrwürdige, Kommentar zum Lukasevangelium.

9 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 121.

Foto: Frantisek Krejci (pixabay)