Betrachtungstext: 25. März – Verkündigung des Herrn

Gott vergöttlicht unser Leben – Das Leben Jesu betrachten – Eine sehr menschliche Gottheit

UND DAS Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt und wir haben seine Herrlichkeit geschaut (Joh 1,14). Am Hochfest der Verkündigung des Herrn freuen wir uns über die große Barmherzigkeit, die Gott uns erwiesen hat, indem er in unsere Welt kam. Wir feiern Jesus von Nazaret, wahrer Gott und wahrer Mensch; wir feiern die heilige Maria, die zur Mutter des Herrn geworden ist; wir feiern gewissermaßen die ganze Menschheit – auch uns –, denn das Geheimnis der Menschwerdung heißt, dass unserer menschlichen Natur eine sehr hohe Würde innewohnt, die durch das Wirken der Gnade sogar noch erhöht werden kann.

Am heutigen Fest richtet sich unser Blick besonders auf Jesus, das fleischgewordene Wort Gottes. „Denn ich sehe dich als perfectus Deus, perfectus homo, ganz Gott, aber auch ganz Mensch, aus Fleisch und Blut, wie ich“, sagte der heilige Josefmaria, ohne aus seinem Staunen herauszukommen. „Er entäußerte sich, nahm Knechtsgestalt an (Phil 2,7), damit ich niemals daran zweifle, dass er mich versteht, dass er mich liebt.“1 Diese Glaubenswahrheit ist in Verbindung mit dem historischen Ereignis eine unerschöpfliche Quelle des Friedens für unsere Seelen. Papst Franziskus drückt es so aus: „Gott wurde gebrechlich, um unsere Gebrechlichkeit hautnah zu berühren.“2 

Zugleich ist das Wissen, dass Gott menschliche Gestalt angenommen hat, eine Einladung, ihn alle Aspekte unseres Lebens vergöttlichen zu lassen. Zu Beginn der Heiligen Messe bitten wir den Herrn heute kühn, diese Verwandlung in uns zu bewirken: „Gläubig bekennen wir, dass unser Erlöser wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Mache uns würdig, Anteil zu erhalten an seinem göttlichen Leben.“3 Das Geheimnis der Menschwerdung heißt, dass unser Dasein eine Dimension hat, die über die rein menschliche, die an sich schon gut ist, noch hinausgeht: Wir sind auch fähig, ein übernatürliches Leben zu führen, über das Vergängliche hinaus zu blicken, mit einer Kraft zu lieben, die von Gott kommt, durch Christus, der uns in so vielen Dingen gleich ist.


SEI GEGRÜßT, du Begnadete, der Herr ist mit dir (Lk 1,28). Von Beginn ihres Lebens an wird Maria diese Nähe Gottes gespürt haben, vielleicht weil sie seine Fürsorge wahrnahm. Im Augenblick der Menschwerdung wird diese Nähe noch verstärkt: Das Leben der Gottesmutter ist bereits auf Erden eng mit dem Leben Gottes verbunden. Die Gottesmutter konnte diese Nähe zu Gott in den Jahren, in denen sie mit Jesus in Nazaret lebte, mitten in den einfachsten und alltäglichsten Tätigkeiten auf einzigartige Weise genießen. Und nachdem er sein öffentliches Leben begonnen hatte, würde sie weiterhin viele Momente mit ihm teilen.

Gewiss, die Erfahrung Mariens ist unwiederholbar: Niemand ist Jesus so nahe gekommen wie sie. Doch was wir mit den Augen des Fleisches nicht sehen können, können wir mit den Augen des Glaubens sehen. Deshalb ist die Betrachtung des Evangeliums ein bevorzugter Weg, um die Menschheit des Herrn zu entdecken, die die Jungfrau Maria so gut kannte. Es geht – wie der hl. Josefmaria sagte – dabei nicht darum, diese Seiten zu lesen „wie Wasser, das durchfließt,“4 sondern mit dem gleichen Blick, mit dem unsere Mutter das Leben ihres Sohnes betrachtet: „Denn wir müssen sein Leben gut kennen, es ganz im Kopf und im Herzen tragen, damit wir es in jedem Augenblick ohne Hilfe eines Buches mit geschlossenen Augen vor unserem inneren Blick wie einen Film vorbeiziehen lassen können. Die Worte und Taten des Herrn werden uns auf diese Weise in den verschiedenen Situationen unseres Lebens begleiten.5

Der Katechismus schildert die Verwandlung, die wir erleben, wenn wir auf diese Weise das Leben des Messias betrachten, so: „Die ,Beschauung‘ ist gläubiges Hinschauen auf Jesus. ,Ich schaue ihn an, und er schaut mich an‘, sagte ein Bauer von Ars, der vor dem Tabernakel betete, zu seinem heiligen Pfarrer. (...) Das Licht seines Antlitzes erleuchtet die Augen unseres Herzens und lässt uns alles im Licht seiner Wahrheit und seines Mitleids mit allen Menschen sehen.“6 Wie zwei Liebenden – ohne Bedarf von vielen Worten – ein Blick genügt, um sich der großen und treuen Liebe bewusst zu werden, die unser Leben umhüllt.


IN DIESEN WEILEN des vertrauensvollen Gesprächs mit dem Herrn können wir so viele Gesten und Worte von ihm lernen, die uns später als Inspiration für unsere täglichen Gefechte dienen werden. Die Betrachtung der Art und Weise, wie Christus die göttliche und die menschliche Liebe verband, hilft uns, unserem christlichen Leben diese durch und durch menschliche Note zu geben. Der heilige Josefmaria pflegte zu sagen: „Um göttlich zu sein, um vergöttlicht zu werden, müssen wir zunächst ganz menschlich sein.“7 Das Fest der Verkündigung unseres Herrn erinnert uns daran, dass Gott nicht im Himmel verbleibt. Jesus zeigt uns auf, dass er ein sehr menschlicher Gott ist: mit seinem feinfühligen Umgang mit allen Menschen, mit seiner Nähe zu den Ausgegrenzten, mit seiner Sorge um seine Jünger.

So nährt die Betrachtung Jesu, des wahren Menschen, nicht nur unser Gebet, sondern auch unsere christliche Sendung zum Dienst. Er gibt sich uns sogar leiblich hin: mit seiner Stimme, mit seinen Händen, die heilten und segneten, mit seinen Armen, die sich öffneten, um das Kreuz zu umarmen. Er entwirft keine theoretischen Pläne, sondern macht sich an die Arbeit.

Diese Vorgehensweise Gottes ist ein starker Ansporn, über den Realismus unseres Glaubens nachzudenken, der nicht auf die Sphäre des Gefühls, der Emotionen beschränkt sein darf, sondern in unser konkretes Dasein eintreten, das heißt unser tägliches Leben berühren und es auch praktisch ausrichten muss“8, verweist Benedikt XVI. auf Wesentliches. Das Opfer, das Jesus dem Vater darbringt, ist sein ganzes Leben; eine Selbsthingabe, die jede Sekunde seines Erdenlebens umfasst. Das war auch die Haltung der Gottesmutter, die mit ihrem fiat, es geschehe, sich am Tag der Verkündigung entschloss, so Worte von Papst Franziskus, auf die Verheißungen Gottes zu vertrauen, die einzige Kraft, die in der Lage ist, alles zu erneuern“9.


1 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 201.

2 Papst Franziskus, Angelus, 3. Januar 2011.

3 Römisches Messbuch, Hochfest der Verkündigung des Herrn, Tagesgebet.

4 Hl. Josefmaria, Beisammensein, 2. Januar 1971.

5 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 107.

6 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2715.

7 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 172.

8 Benedikt XVI., Generalaudienz, 9. Januar 2013.

9 Papst Franziskus, Ansprache, 26. Jänner 2019.