Betrachtungstext: 22. Juni – Hl. Thomas Morus

Ein guter Ehemann und Familienvater – Das Licht des Evangeliums in jeden Winkel bringen – Ein Heldentum, das sich im Tagein Tagaus herangebildet

DER HEILIGE Thomas Modus wurde 1478 geboren und starb als Märtyrer im Jahr 1535. Er war ein Anwalt und Richter und wurde dann an den königlichen Hof gerufen. Er bekleidete verschiedene öffentliche Ämter, war Mitglied des Kronrates, Ritter, Parlamentssprecher und Diplomat und wurde 1529 als erster Laie zum Lordkanzler des britischen Königreichs ernannt. Seine juristische und politische Karriere verband er mit dem Studium humanistischer Fachbereiche. Er selbst verfasste bedeutende literarische Schriften und galt als einer der gelehrtesten Männer der Renaissance. Erasmus von Rotterdam, ein anderer berühmter Humanist seiner Zeit und lebenslanger Freund, bewunderte ihn sehr: „Wenn mich die große Liebe, die ich für ihn hege, nicht täuscht“, schrieb er, „glaube ich nicht, dass die Natur jemals einen geschickteren, genialeren, umsichtigeren, feineren Charakter geschaffen hat (...). Er ist der liebenswerteste aller Freunde, mit dem ich ernste wie humorvolle Momente mit großem Vergnügen teile.“1

Ob am Hof oder vor Gericht, Thomas Morus fehlte es nicht an intensiven und fesselnden Beschäftigungen. Er war sich jedoch der Möglichkeit bewusst, dass seine beruflichen Verpflichtungen dazu führen könnten, dass er seine eigene Familie vernachlässigte, und war sich stets darüber im Klaren, dass es das Wichtigste war, ein guter Ehemann und Vater zu sein. Von einer Reise, die ihn für einige Zeit von zu Hause fernhielt, schrieb er an seine älteste Tochter: „Ich versichere dir, dass ich, bevor meine Kinder und meine Familie durch meine Nachlässigkeit Schaden erleiden, bereit bin, mein ganzes Vermögen zu verschenken und mich von Geschäften und Berufen zu verabschieden, um mich ganz ihnen zu widmen.“2

Er bemühte sich nach Kräften darum, dass sein Heim eine Glücksquelle und zugleich eine kleine Hausschule war. Er selbst sowie gut ausgebildete Lehrer unterrichteten die fünf Mädchen und den Jungen, die im erweiterten Haushalt lebten, in humanistischen und wissenschaftlichen Fächern sowie in der christlichen Lehre. In einem Brief an einen der Hauslehrer machte er deutlich, wie er sich die rechte Rangordnung der Bildungswerte vorstellte: „Wesentlich muss für sie ein tugendhaftes Leben sein; das Studium darf erst an zweiter Stelle stehen; daher sollen sie jene Fächer pflegen, die sie zur Treue gegen Gott, zur Liebe zum Nächsten, zur Bescheidenheit und christlichen Demut gegen sich selbst anleiten. Dann wird ihnen die Gnade eines unbescholtenen Lebens zuteil; dann kann sie der Gedanke an den Tod nicht mehr schrecken; denn echte Freude erfüllt ja ihr Herz.“3


DER HEILIGE JOSEFMARIA verehrte den heiligen Thomas Morus. Im Jahr 1954 ernannte er ihn zum Fürsprecher des Opus Dei für die Beziehungen zu den staatlichen Behörden. Während seiner Aufenthalte in Großbritannien zwischen 1958 und 1962 betete er häufig an seiner Grabstätte in Canterbury. Und er ermunterte einen seiner Söhne, eine Biografie über diesen englischen Heiligen zu schreiben.4 Er war für ihn ein hervorragendes Beispiel für einen Laien, der die Heiligkeit mit Gottes Gnade inmitten der Welt und an den Weggabelungen der kulturellen Umbrüche seiner Zeit erlangte. Denn es sind die Laien, die gewöhnlichen Christen, die dazu berufen sind, das Licht des Evangeliums in jeden Winkel zu tragen: in die Familie, in ihr Arbeitsumfeld, in alle Bereiche der Zivilgesellschaft und der Kultur. „Ihnen kommt es in besonderer Weise zu“, legte der heilige Johannes Paul II. dar, „Zeugnis zu geben vom christlichen Glauben als einzige und wahre Antwort (...) auf die Probleme und Hoffnungen, die das Leben heute für jeden Menschen und für jede Gesellschaft einschließt. Dieses Zeugnis wird möglich, wenn es den Laien gelingt, den Gegensatz zwischen dem Evangelium und dem eigenen Leben zu überwinden und in ihrem täglichen Tun, in Familie, Arbeit und Gesellschaft eine Lebenseinheit zu erreichen, die im Evangelium ihre Inspiration und die Kraft zur vollen Verwirklichung findet.“5

Der heilige Thomas Morus war ein herausragendes Vorbild sowohl in seinem Dienst an der Zivilgesellschaft als auch in seinem Beitrag zur Förderung der Kultur seiner Zeit. Die Verwandlung der Welt bleibt eine Aufgabe von uns Christen, in der festen Überzeugung, dass sie uns gehört: Sie ist unser Zuhause, unsere Aufgabe und unsere Heimat. Der Prälat des Werkes unterstrich dies mit folgenden Worten: „Durch das Wissen, dass wir Kinder Gottes sind, werden wir uns in unserem eigenen Zuhause niemals fremd fühlen; wir werden nicht wie auswärtige Besucher durch dieses Leben gehen und auf unseren Straßen ängstlich auftreten, als befänden wir uns auf unbekanntem Terrain. Die Welt gehört uns, denn sie gehört unserem göttlichen Vater. Wir sind dazu berufen, diese Welt zu lieben, und keine andere, von der wir möglicherweise denken, dass wir dort besser aufgehoben wären. Es gilt, die Menschen um uns herum zu lieben, in den konkreten Herausforderungen, die vor uns liegen.6


THOMAS MORUS ging täglich zur heiligen Messe. Sonntags sang er im Chor seiner Gemeinde mit. Trotz seiner gesellschaftlichen Stellung nahm er keinen Ehrenplatz in Anspruch. Als einige Adlige ihn darauf hinwiesen, dass es dem König missfallen könnte, dass sein Lordkanzler nicht mit größerer Ehrerbietung behandelt werden wollte, antwortete er mit seinem feinen Humor: „Es ist unmöglich, dass ich dem König, meinem Herrn, missfalle, während ich dem Herrn meines Königs öffentlich huldige.“7 Er liebte sein Land und seinen König von ganzem Herzen. Aber er liebte Gott mehr als alles andere. Als der tragische Moment kam, in dem er zwischen der Treue zu seinem katholischen Glauben und einem Eid, der gegen sein Gewissen verstieß, entscheiden musste, war der heilige Thomas Morus bereit, sich vorbehaltlos dem göttlichen Willen zu unterwerfen, auch wenn er wusste, dass damit seine Stellung, sein Vermögen und sogar sein Leben auf dem Spiel standen.

Diese heldenhafte Antwort in einer außergewöhnlichen Situation hatte sich über viele Jahre gelebten echten Heroismus’ im normalen Leben herausgebildet. So fällte Thomas zum Beispiel nie eine wichtige Entscheidung, ohne vorher den Herrn in der Heiligen Kommunion zu empfangen; in all seinen persönlichen und familiären Nöten suchte er vertrauensvoll und beharrlich Hilfe im Gebet; er war großzügig und fürsorglich gegenüber seinen Freunden und kümmerte sich um die Armen in seiner Umgebung. Was ihn selbst betraf, war er nüchtern und asketisch. All dies gab ihm, so schrieb Johannes Paul II., „jene Zuversicht und innere Stärke, die ihn in den Widrigkeiten und angesichts des Todes aufrecht hielt. Seine Heiligkeit erstrahlte im Martyrium, doch sie wurde vorbereitet von einem ganzen Arbeitsleben, das der Hingabe an Gott und an den Nächsten galt.8

Wir sind von Gott berufen, unser Christsein inmitten des gewöhnlichen Lebens zu leben. Auch wir werden gelegentlich auf Widerstand in unserer Umgebung oder sogar Gesetze stoßen, die die Menschenwürde verletzen. Dann wird der Moment gekommen sein, der Stimme Gottes, die in den Tiefen unseres Gewissens erklingt,9 treu zu sein: „Gerade wegen seines bis zum blutigen Martyrium erbrachten Zeugnisses für den Primat der Wahrheit vor der Macht wird der heilige Thomas Morus als unvergängliches Beispiel für konsequentes sittliches Verhalten geehrt,“ schrieb der heilige Johannes Paul II. weiter. „Seine Gestalt wird auch außerhalb der Kirche, besonders bei denen, die die Geschicke der Völker zu lenken berufen sind, als Quelle für eine Politik anerkannt, die sich den Dienst am Menschen zum obersten Ziel setzt.“10


1 Zitiert in: Antonio Sicari, Ritratti di santi, Bd. 1, S. 40.

2 Zitiert in: Andrés Vázquez de Prada, Sir Tomás Moro, S. 180-181.

3 Zitiert in: Peter Berglar, Die Stunde des Thomas Morus. Einer gegen die Macht, Walter Verlag, S. 133.

4 So entstand die Biographie des Historikers Andrés Vázquez de Prada. Vgl. Andrew Hegarty, St. Thomas More as Intercessor of Opus Dei, in Studia et Documenta, Nr. 8 (2014), S. 91-124, oder diesem Link.

5 Hl. Johannes Paul II., Christifideles laici, Nr. 34.

6 Msgr. Fernando Ocáriz, Im Licht des Evangeliums, S. 68-69.

7 Zitiert in: Antonio Sicari, Ritratti di santi, Bd. 1, S. 40.

8 Hl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben zur Ausrufung des heiligen Thomas Morus zum Patron der Regierenden und der Politiker, 31.10.2000, Nr. 4.

9 Vgl. II. Vatikanisches Konzil, Gaudium et Spes, Nr. 16.

10 Hl. Johannes Paul II., w. o., Nr. 1.