HERR, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher kommt dann das Unkraut? (Mt 13,27). Die Knechte im Gleichnis sind überrascht, als sie Unkraut auf dem Feld entdecken, nachdem sie den guten Samen gesät haben. Zunächst vermuten sie eigene Fehler, doch bald erkennen sie, dass ihr Herr dies nicht zugelassen hätte. Dieser kann den Grund klipp und klar benennen: Das hat ein Feind getan (Mt 13,28).
Später erklärt Jesus, dass der Acker die Welt oder auch das menschliche Herz darstellt. Dies lässt uns fragen: Woher kommen die schlechten Neigungen, die wir in unseren Herzen und um uns herum entdecken? Der heilige Josefmaria sagt dazu: „Die Welt ist nicht schlecht, denn sie ist aus den Händen Gottes hervorgegangen. Sie ist Gottes Werk, und Gott betrachtete sie und sah, dass sie gut war (Gen 1,7ff. ). Wir Menschen sind es, die sie schlecht und hässlich machen, mit unseren Sünden und Treulosigkeiten.“1
Das Vorhandensein von Unkraut in der Gesellschaft oder in uns selbst soll uns helfen, demütig zu sein und auf die Gnade Gottes zu vertrauen. Unsere Fehler führen uns, wenn wir sie bekämpfen, zum Herrn. Er empört sich nicht über die Entdeckung des Bösen in unserem Leben, sondern drängt uns, das Gute in uns wachsen zu lassen und das Unkraut zu nutzen, um unseren Wunsch zu stärken, ihm zu dienen. Der heilige Josefmaria schrieb: „Wenn wir also bei uns selbst – oder bei anderen – Schwachstellen bemerken, sollten wir uns nicht wundern: Erinnern wir uns an diejenigen, die trotz ihrer unbestreitbaren Unzulänglichkeiten beharrlich waren, das Wort Gottes zu allen Völkern trugen und heilig waren. Seien wir bereit zu kämpfen und voranzugehen: Was zählt, ist die Beharrlichkeit.“2
DIE DIENER hatten es verabsäumt, das Feld zu beschützen und den Feind abzuwehren. Nun aber sind sie bereit, das Unkraut loszuwerden, und wenden sich sicherheitshalber fragend an den Besitzer: Sollen wir gehen und es ausreißen?(Mt 13,28). Doch ihr Meister sieht die Gefahren eines solchen Verfahrens und wehrt ab: Nein, damit ihr nicht zusammen mit dem Unkraut den Weizen ausreißt (Mt 13,29).
Es reicht nicht aus, das Unkraut beseitigen zu wollen. Die Energien, die durch die Wahrnehmung von Ungerechtigkeit und Übel freigesetzt werden, müssen richtig kanalisiert werden. Ein unüberlegter und unvorsichtiger Umgang kann dazu führen, dass wir überstürzt urteilen und die gute Saat zusammen mit dem Unkraut ausreißen. Es ist notwendig, sowohl das Gute wie auch das Böse zu erkennen, das in uns selbst vielleicht wächst. „Dafür gibt es eine wunderbare Methode“, sagte Papst Franziskus: „die sogenannte Gewissenserforschung, die darin besteht, zu sehen, was heute in meinem Leben geschehen ist, was mein Herz berührt hat und welche Entscheidungen ich gefällt habe. Und das dient genau dazu, im Licht Gottes zu prüfen, wo es schlechtes Unkraut gibt und wo die gute Saat.“3
Nach einer ersten, vielleicht ungestümen Reaktion ist es klug, sich im Gebet an den Herrn zu wenden und ihn zu bitten, uns zu helfen, die Ereignisse in seinem Licht verstehen. Wir werden seinen Rat und den Rat von Menschen suchen, die uns helfen können. Wir können ihnen sagen, was wir zu tun gedenken und wie wir die Dinge sehen, und ihnen erlauben, auch andere Gesichtspunkte einzubringen, wie es der Herr im Gleichnis tut: Lasst beides wachsen bis zur Ernte (Mt 13,30).
DEN WEIZEN und das Unkraut gemeinsam wachsen zu lassen, ist keine Frage von Berechnung oder Faulheit. Vielmehr geht es darum, das Gute zu schützen, bis es gereift ist, weil es vom Unkraut oft schwer zu unterscheiden ist. Der heilige Augustinus gibt zu bedenken: „Auf dem Acker des Herrn, das heißt in der Kirche, wird manchmal aus dem Weizen Unkraut und aus dem Unkraut Weizen; und niemand weiß, was in der Zukunft sein wird. Deshalb erlaubte der Familienvater seinen entrüsteten Arbeitern nicht, das Unkraut auszureißen; sie wollten es ausreißen, aber er erlaubte es ihnen nicht, das Unkraut zu trennen.“4
Schlechtes Saatgut ist im Alltag oft schwer zu erkennen, Ein Kirchenvater warnt uns: „Auch das gehört ja zur Taktik des Teufels, neben der Wahrheit stets auch den Irrtum mit einzuschmuggeln und diesen der Wahrheit möglichst ähnlich zu färben, um so die Einfältigen leicht zu betören.“5 Der Feind wird versuchen, uns dazu zu bringen, auf den guten Schein zu achten, solange es nicht der Same ist, den Gott in uns pflanzen will. Und erst wenn Zeit vergangen ist und wir die Folgen sehen, erkennen wir vielleicht, dass es nicht die erwartete Frucht gebracht hat.
Deshalb ist es wichtig, dass wir, wenn wir versuchen, jemandem zu helfen, bedenken, dass sich die Menschen nicht von heute auf morgen ändern: Wir alle brauchen einen Blick voller Verständnis und Zuneigung, um zu lernen, Unkraut und den Weizen, die gleichzeitig in unserem eigenen Leben wachsen können, voneinander zu unterscheiden. Wir können auch aus den Auswirkungen der schlechten Saat – wenn wir Fehler machen – lernen, um uns mit größerer Überzeugung dafür zu entscheiden, die gute Saat wachsen zu lassen und unsere edelsten Energien dem Guten zu widmen. Papst Franziskus erinnert daran, „dass die Geduld nicht nur eine Notwendigkeit ist, sondern ein Aufruf: Wenn Christus geduldig ist, dann ist der Christ aufgerufen, geduldig zu sein. Und das verlangt, gegen den Strom zu schwimmen angesichts der heute verbreiteten Denkweise, in der die Eile und ,alles, und zwar sofort‘ vorherrschen; wo man die Menschen auspresst und erwartet, dass sie sich sofort ändern, statt darauf zu warten, dass die Situationen heranreifen. Vergessen wir nicht, dass Eile und Ungeduld Feindinnen des geistlichen Lebens sind. Warum? Gott ist Liebe, und wer liebt, wird nicht müde, ist nicht aufbrausend, stellt kein Ultimatum, Gott ist geduldig, Gott versteht zu warten.“6 Die Jungfrau Maria als gute Mutter kann uns helfen zu verstehen, dass die Liebe geduldig ist und den Rhythmus der anderen respektiert.
1 Hl. Josefmaria, Gespräche, Nr. 114.
2 Hl. Josefmaria, Brief 2, Nr. 48.
3 Franziskus, Angelus-Gebet, 23.7.2023.
4 Hl. Augustinus, Sermo 73 A [Caillau II,5], 1.
5 Hl. Johannes Chrysostomus, Predigten über den hl. Matthäus, 46, 1.
6 Franziskus, Audienz, 27.3.2024.