Die Autorität der Eltern

Mit diesem Text über die Autorität der Eltern endet die Serie zur Erziehung in der Familie. Er bringt einige Ideen, wie wir unseren Kindern helfen können, ihre Freiheit zu entwickeln.

Gott ist der Schöpfer des Lebens, und seine Güte zeigt sich auch in seiner Autorität, an der er jede geschaffene Autorität teilhaben lässt, vor allem die liebevolle Autorität der Eltern. Natürlich ist es nicht immer einfach, diese Elternautorität anzuwenden. Sie geht notwendigerweise „hinunter“ bis zu den ganz gewöhnlichen Dingen des Alltagslebens.

Wir alle haben bei der Erziehung die Erfahrung gemacht: «Ohne Verhaltens- und Lebensregeln, die Tag für Tag auch in den kleinen Dingen zur Anwendung kommen, bildet sich der Charakter nicht aus, und man wird nicht auf die Prüfungen vorbereitet, die in der Zukunft nicht fehlen werden» i. Wir wissen aber auch, dass es nicht immer leicht fällt, die Ausgewogenheit zwischen Freiheit und Disziplin zu finden.

Tatsächlich fürchten sich viele Eltern – vielleicht aufgrund eigener Erlebnisse – vor den negativen Folgen, die sich ergeben könnten, wenn sie von den Kindern etwas verlangen. Zum Beispiel, dass der häusliche Frieden darunter leidet, oder dass sie eine Sache ablehnen, die an sich gut ist.

Papst Benedikt XVI. weist auf den Lösungsweg hin, der aus dem scheinbaren Konflikt zwischen dem Aufstellen von Regeln und deren freiwilliger Annahme von den Kindern führt. «Die Erziehung kann (...) nicht vom guten Ansehen absehen, das die Ausübung der Autorität glaubwürdig macht. Es ist eine Frucht der Erfahrung und der Sachkenntnis, aber man erwirbt es vor allem durch die Geradlinigkeit des eigenen Lebens und durch den persönlichen Einsatz, der Ausdruck der echten Liebe ist» ii.

Das Licht der Autorität

Die Ausübung der Autorität darf allerdings nicht verwechselt werden mit einem einfachen Sich-durchsetzen und auch nicht mit dem Einfordern des Gehorsams um jeden Preis. Wenn sich jemand einer bestimmten Autorität unterstellt, tut er das nicht so sehr, weil er sich davor fürchtet bestraft zu werden, sondern weil er in ihr eine Bezugsperson sieht, die ihm das Erkennen der Wahrheit und des Werts der Dinge ermöglicht, auch wenn sie für ihn manchmal nicht ganz verständlich sind. Die Autorität hängt mit der Wahrheit unmittelbar zusammen, weil sie diese vertritt.

So gesehen hat die Autorität eine äußerst positive Bedeutung und erweist sich als ein Dienst. Sie ist ein Licht für den, der sich von ihr auf das Ziel hin führen lässt, das er anstrebt. Autorität leitet sich vom lateinischen Verb augere her, das “wachsen lassen”, “entwickeln” bedeutet.

Wer eine Autorität anerkennt, stimmt vor allem den Werten oder den Wahrheiten zu, die sie vertritt: «Der Erzieher ist also ein Zeuge der Wahrheit und des Guten» iii, das heißt er ist die Person, die bereits die Wahrheit, nach der sie strebt, entdeckt und sich zu eigen gemacht hat. Auch der Zögling vertraut dem Erzieher. Nicht nur auf dessen Kenntnisse, sondern auch darauf, dass er bereit ist ihm zu helfen, diese Wahrheiten zu finden.

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Die Rolle der Eltern

Es ist verständlich, dass die Kinder von den Eltern ein Verhalten erwarten, das mit den Werten übereinstimmt, die sie ihnen vermitteln wollen, und das ihre Liebe zu ihnen zeigt. Wie können Eltern diese Autorität und diese Anerkennung erlangen, die ihre Erziehungstätigkeit verlangt? Die Autorität hat eine natürliche Grundlage und kommt ganz spontan in der Beziehung zwischen den Eltern und den Kindern zustande. Es geht nicht so sehr um die Sorge sie zu erreichen, sondern darum sie zu aufrechtzuerhalten und sie gut auszuüben.

Das versteht sich von selbst, wenn die Kinder noch klein sind. Wenn die Familie zusammenhält, vertrauen die Kinder mehr den Eltern als sich selbst. Der Gehorsam mag ihnen schwer fallen, aber sie sehen ihn mehr oder weniger bewusst als etwas, das mit der Liebe und Einheit in der Familie zusammenhängt: Meine Eltern haben mich sehr gern; sie möchten, dass ich glücklich bin; sie weisen mich auf das hin, was mir helfen wird, glücklich zu sein. Der Ungehorsam wird dann als etwas Ungebührliches erlebt, als ein Mangel an Vertrauen und Liebe.

Um ihre Autorität zu festigen, müssen also die Eltern nicht mehr tun, als richtige Eltern zu sein. Sie geben die Freude und Schönheit ihres eigenen Lebens zu erkennen und zeigen durch ihr Tun, dass sie ihre Kinder lieben, so wie sie sind. Das setzt natürlich voraus im Haus anwesend zu sein. Auch wenn das wegen des heutigen Lebensrhythmus schwierig sein kann, ist es wichtig, Zeit mit den Kindern zu verbringen und «die Familie derart zu einer Heimstätte der Frömmigkeit und Liebe zu Gott und den Menschen zu gestalten» iv.

Es lohnt sich zum Beispiel sich zu bemühen, dass alle gemeinsam zu Abend essen, auch wenn das anstrengend ist. Es ist eine ausgezeichnete Möglichkeit sich gegenseitig kennenzulernen, indem man von den Ereignissen des Tages berichtet, und die Kinder lernen, auch durch das Hören der Dinge, die die Eltern von ihrem Tag erzählen, die Probleme, die dabei aufgetreten sein können, mit Humor zu nehmen und nicht zu ernst zu nehmen.

Auf diese Weise wird es zudem leichter, mit den Kindern, falls nötig, deutlich zu reden und ihnen zu sagen, was sie gut und was sie schlecht machen; was sie machen dürfen und was nicht; und ihnen ihrem Alter entsprechend die Gründe zu nennen, weshalb man so oder anders handeln soll. Unter diesen Hinweisen gehört jedenfalls, dass sie sich immer wie ein Kind Gottes verhalten sollen: Bemüht euch , dass die Kinder lernen, ihr Handeln vor dem Angesicht Gottes zu bewerten. Gebt ihnen übernatürliche Motive zum Nachdenken, so dass sie sich ihrer Verantwortung bewusst werden v.

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Sie sollen ihnen das Beispiel Christi vor Augen stellen, der sich aus Liebe zu uns kreuzigen ließ, um für uns die Freiheit zu erlangen. Wenn sie die Autorität ausüben, geben sie letztlich den Kindern, schon von klein an, die Werkzeuge in die Hand, die sie brauchen, um als Personen zu wachsen. Und das Wichtigste ist, ihnen durch ihr eigenes Leben ein Beispiel zu geben. Den Kindern entgeht nichts, was die Eltern machen, und sie neigen dazu sie nachzuahmen.

Die Ausübung der eigenen Autorität kann sich dadurch zeigen, dass die erforderlichen Vorkehrungen getroffen werden, um die angenehme Familienatmosphäre aufrechtzuerhalten, und die Kinder die Möglichkeit haben zu entdecken, wie viel mehr Freude es bereitet zu geben als zu nehmen.

In diesem Zusammenhang ist es gut, die Kinder von klein an um diese kleinen Dienste zu bitten, die dazu beitragen ein Klima der gesunden gegenseitigen Fürsorge zu schaffen. Man überträgt ihnen Verantwortlichkeiten: sie sollen beim Tischdecken mithelfen; sich wöchentlich Zeit zum Aufräumen der eigenen Dinge nehmen; die Türe öffnen, wenn es läutet, usw. Das sind Beiträge zum Wohlbehagen der Familie, und die Kinder verstehen sie auch so.

Es geht nicht darum “ihnen etwas zu tun zu geben”, sondern sie sollen sehen, dass ihr Beitrag zu den Haushaltsangelegenheiten wichtig und in gewissem Sinn unersetzlich ist, weil sie den Eltern Arbeit abnehmen, weil sie einem Bruder oder einer Schwester helfen, weil sie auf ihre eigenen Dinge achtgeben. Auf diese Weise lernen sie zu gehorchen.

Es genügt nicht, dass die Eltern mit den Kindern reden und sie auf ihre Irrtümer aufmerksam machen. Früher oder später wird es auch notwendig sein sie zu korrigieren, ihnen zu zeigen, dass das, was sie tun, für sie und für andere Folgen hat. Oft kann ein liebevolles und klares Gespräch genügen; in anderen Fällen hingegen wird es angebracht sein etwas zu unternehmen, weil es Schäden verursacht, die wiedergutgemacht werden müssen und es nicht ausreicht es zu bereuen.

Die Strafe soll etwas sein, um den begangenen Fehler wiedergutzumachen: zum Beispiel eine kleine Arbeit zu leisten, um einen kaputt gemachten Gegenstand zu bezahlen. Manchmal wird sich die Strafe über einen längeren Zeitraum erstrecken. Zum Beispiel kann es angebracht sein wegen eines schlechten Schulergebnisses eine Zeit lang das Ausgehen einzuschränken. In diesen Fällen ist es allerdings wichtig nicht aus den Augen zu verlieren, dass es darum geht, die Zeit und die Mittel einzusetzen, um das zu tun, was zu tun ist.

Bleiben wir beim Beispiel der schlechten Schulnoten. Es wäre wenig sinnvoll, das Ausgehen einerseits zu verbieten, aber andererseits die Zeit vergeudet würde; oder wenn man sie - ohne wirkliche Notwendigkeit – dadurch bestraft, dass man verbietet an Tätigkeiten teilzunehmen, die an sich gut sind, wie Sport zu betreiben oder einen Jugendklub zu besuchen, nur „weil diese es sind, die ihnen wirklich gefallen“.

Vertrauen und Autorität

Zur Autorität gehört auch, dass es den Eltern gelingt, den Kindern die Werte, die sie ihnen weiter vermitteln wollen, verständlich zu machen. Dabei sollen sie ihre Unabhängigkeit und ihre Eigenheiten berücksichtigen. Das setzt vor allem voraus, dass sich die Kinder von ihren Eltern aufrichtig geliebt fühlen und sich mit ihnen vertragen. Die Eltern sollen sie gut kennen und ihnen vertrauen.

Es wäre sinnlos, den Kindern deutlich zu sagen, was sie tun dürfen und was nicht, und es würde vermutlich zu ständigen Streitigkeiten führen, wenn das nicht von Zuneigung und Vertrauen begleitet wäre. Die für die Erziehung notwendige elterliche Autorität ist durchaus vereinbar mit einer echten Freundschaft, die verlangt, dass man sich auch mit den Kindern auf eine Ebene zu stellen vermag. Auch wenn sie scheinbar noch so rebellisch und eigenwillig sind, sehnen sich die Kinder im Grunde immer nach einem offenen, brüderlichen Verhältnis zu ihren Eltern vi.

Mit zunehmendem Alter der Kinder hängt die Autorität der Eltern immer mehr von diesem Vertrauensverhältnis ab. Jedes Kind hat einen Anspruch darauf, ernst genommen zu werden, und das gilt umso mehr für die Jugendlichen. Sie machen körperliche und seelische Veränderungen durch, die sie verunsichern und die auf diese neuen Umstände hinweisen.

Auch wenn es ihnen nicht bewusst ist, suchen sie Erwachsene, die für sie als Bezugspersonen dienen. Das sind Personen, die sich eine eigene Meinung gebildet haben, die nach bestimmten Grundsätzen leben, die sie beständig sein lassen. Genau das wollen die Jugendlichen gerne erreichen. Gleichzeitig ist ihnen klar, dass niemand ihnen diese Aufgabe abnehmen kann. Darum begnügen sie sich nicht damit alles unkritisch anzunehmen, was ihre Eltern ihnen sagen. Sie stellen nicht so sehr ihre Autorität in Frage, sondern sie wollen den wahren Grund besser verstehen, auf den sie sich stützt.

Es ist daher wichtig, ihnen die notwendige Zeit zu widmen und zu wissen wie sie Gelegenheiten für ein Beisammensein schaffen können. Das kann unterwegs im Auto sein, wenn sie mit ihnen allein unterwegs sind, oder wenn sie zuhause im Anschluss an eine Fernsehsendung oder aufgrund einer Begebenheit in der Schule die Dinge kommentieren. Sie reden mit ihnen dann über die Themen, die sie besonders bewegen und bei denen es wichtig ist, dass sie klare Vorstellungen davon haben.

Man soll nicht beunruhigt sein, wenn gelegentlich die Kinder bei einer Unterhaltung anscheinend nicht zuhören. Wenn ein Vater das Notwendige sagt ohne lästig zu fallen oder das Vertrauen zu sehr zu beanspruchen, prägt sich das Gesagte im Gedächtnis ein. Es ist nicht so wichtig, ob der Sohn oder die Tochter danach auf den Rat hört. Was zählt ist, dass sie mitbekommen haben, was ihr Vater über eine bestimmte Angelegenheit denkt, und so einen Anhaltspunkt für ihr eigenes Verhalten erhalten haben.

Der Vater hat ihnen damit seine Bereitschaft und Verfügbarkeit gezeigt, über die Dinge zu sprechen, die ihnen nahegehen. Er hat sich an die Lehre des Papstes gehalten, «einander etwas von uns selbst zu geben. Uns abwechselnd Zeit schenken» vii.

Manche Dinge, mit denen die Eltern vielleicht nicht einverstanden sind, sind dann und wann nebensächlich und rechtfertigen keinen Streit, wenn eine Erklärung ausreichen kann. So lernen die Kinder zwischen dem, was wichtig ist, und dem, was nicht so wichtig ist, zu unterscheiden. Sie bekommen mit, dass ihre Eltern nicht beabsichtigen, aus ihnen eine “Kopie” ihrer eigenen Wesensart zu machen, sondern ganz einfach, dass sie glücklich und richtige Männer und Frauen werden. Daher werden sich die Eltern nicht in die Dinge einmischen, die nicht ihre Würde oder die der Familie betreffen, auch wenn sie sich dafür interessieren.

Im Grunde genommen geht es darum, dem Kind zu vertrauen. «Wir müssen also das Risiko der Freiheit eingehen, aber stets darauf bedacht sein, ihm zu helfen, falsche Ideen und Entscheidungen zu korrigieren. Wir dürfen dagegen nie seine Fehler unterstützen oder so tun, als würden wir sie nicht sehen, oder schlimmer noch sie mit ihm teilen, so als seien sie die neuen Horizonte des menschlichen Fortschritts» viii.

Dieses Vertrauen zu spüren lädt dazu ein es zu verdienen. Der Schlüssel dazu ist, dass die Eltern ihre Kinder in einem Klima der Offenheit zu erziehen wissen und ihnen gegenüber niemals den Eindruck des Misstrauens erwecken, dass sie den Kindern Freiheit lassen und sie lehren, ihre Freiheit eigenverantwortlich zu gebrauchen. Es ist besser, die Eltern lassen sich einmal hintergehen, als dass sie Misstrauen zeigen. Die Kinder gestehen sich selbst beschämt ein, das Vertrauen ihrer Eltern missbraucht zu haben, und bessern ihr Verhalten ix. Natürlich wird es immer kleine Streitigkeiten und Spannungen geben, die man mit guter Laune und Gelassenheit besprechen kann. Auf diese Weise sehen die Kinder, dass eine bestimmte Sache zu verweigern damit vereinbar ist, sie gern zu haben und zu verstehen, in welcher Situation sie sich befinden.

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Der heilige Josefmaria wies ständig darauf hin, dass die Erziehungsaufgabe beiden Eltern zukommt: dem Vater und der Mutter. Natürlich sind sie bei dieser wichtigen Aufgabe nicht allein. Gott, der ihnen den Auftrag gegeben hat, ihre Kinder in den Himmel zu führen, wird ihnen auch seine Hilfe gewähren, damit sie ihn ausführen können. Die Berufung Eltern zu sein schließt mit ein, für die Kinder zu beten, das heißt mit Gott über sie, ihre Tugenden und Fehler zu reden; ihn zu fragen, wie sie ihnen helfen können; ihn um Gnade für die Kinder und um Geduld für sich selbst zu bitten. Wenn sie die Frucht der Erziehungsarbeit den Händen Gottes anvertrauen, finden sie selbst einen Frieden, der auf die anderen ausstrahlt.

Wie der heilige Josefmaria betont, erhalten die Eltern bei der Erziehungsaufgabe durch das von Christus eingesetzte Sakrament (...) eine ganz besondere Gnade (…). Sie sollten die übernatürliche Bedeutung sehen lernen, die die Gründung einer Familie, die Erziehung der Kinder und der christliche Einfluss auf die Gesellschaft besitzen x. Machen sie es mit menschlicher Liebenwürdigkeit, mit Milde und Humor und vertrauen sie die Dinge dem Herrn an, werden sich die Kinder ändern. Letzten Endes gehören die Kinder Gott.

J.M. BARRIO

i Benedikt XVI., Schreiben an die Diözese und die Stadt Rom über die dringende Aufgabe der Erziehung. 21.1.2008.

ii Ebd.

iii Ebd.

iv II. Vatikanisches Konzil, Erklärung Gravissimum Educationis , Nr. 3.

v Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen von einer Predigt in Guadalaviar (Valencia), 17.11.1972.

vi Hl. Josefmaria, Gespräche, Nr. 100.

vii Benedikt XVI., Homilie, 24.12.2012.

viii Benedikt XVI., Schreiben an die Diözese und die Stadt Rom über die dringende Aufgabe der Erziehung. 21.1.2008.

ix Hl Josefmaria, Gespräche, Nr. 100.

x Ebd., Nr. 91.