Betrachtungstext: 25. Dezember – Weihnachten

Gläubig das Geheimnis von Weihnachten betrachten – Gott wollte die Menschen brauchen – Unsere Betrachtung vor der Krippe

„EIN KIND ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt.“1 Die Sehnsucht, die wir im Advent so stark und bedrängend verspürt haben, hat sich erfüllt: Gott ist Mensch geworden. Die Welt befindet sich nicht mehr im Dunkeln. Jesus ist gekommen, und „alle Enden der Erde sahen die rettende Tat unseres Gottes“2. Ein Kind lächelt, während wir still vor ihm knien und es anbeten. Unsere Blicke treffen sich mit dem des Neugeborenen. Alles ist Licht, und sein reiner Blick dringt in unsere Seele ein und vertreibt die Finsternis der Sünde.

Der heilige Josefmaria empfahl, „das Kind in der Krippe anzuschauen, unsere Liebe, es zu betrachten, wohlwissend, dass wir vor einem Geheimnis stehen. Wir müssen dieses Geheimnis im Glauben annehmen und, ebenfalls im Glauben, seinen Sinn ergründen. Dazu ist die demütige Haltung nötig, die einer christlichen Seele eigen ist: nicht der Versuch, die Größe Gottes auf die ärmliche Ebene menschlichen Verstehens und Deutens herabzusetzen, sondern die Einsicht, dass dieses Geheimnis in seiner Dunkelheit ein Licht ist, das das Leben der Menschen leitet.3 Himmel und Erde wurden von dem Kind geschaffen, das in der Krippe liegt. Es begründete unseren Planeten, die Erde und ihre Fülle. Wie verrückt ist die Liebe Jesu zu uns! Er, der in den Himmeln wohnt, bettet sich auf Stroh; er, der alles mit seiner Gegenwart erfüllt und erhält, hat Fleisch angenommen und ist einer von uns geworden. Wir können denjenigen in die Arme nehmen, der uns geschaffen hat: Das ist das große Geheimnis, das uns Weihnachten vor Augen führt.

Es soll ein Fest geben, heißt es. Kommt und seht, wurde uns gesagt; kommt und seht das Wunder. Hirten und Könige, Reiche und Arme, Mächtige und Schwache drängen sich um die Wiege. Auch wir wollen näher treten, uns vor diesem wehrlosen Kind niederwerfen, auf Maria und Josef schauen, die müde sind, aber glücklich, wie es vielleicht noch nie jemand auf der Erde war. Ein so großes Geheimnis können wir nicht fassen: Gott hat sich in unser Fleisch gehüllt.


WIE GERNE würden wir uns dafür bedanken, dass Gott nahe, berührbar und verletzlich geworden ist. Wir wagen es, den König des Universums zu küssen, von dem im alten Bund kein Bild gemacht werden durfte, und doch ist er jetzt sogar einer von uns geworden. Adeste, fideles ... Venite, adoremus ... Unser Lied in diesen Tagen ist eine Einladung, ein Aufruf. Auch wir wurden gerufen, haben es gesehen, und nun freut sich unser Herz: Da ist Gott, das Kind, unser Erlöser. „Christ, erkenne deine Würde!“, rief der heilige Leo der Große in einer berühmten Weihnachtspredigt. „Du bist der göttlichen Natur teilhaftig geworden, kehre nicht zu der alten Erbärmlichkeit zurück und lebe nicht unter deiner Würde. Denke an das Haupt und den Leib, dem du als Glied angehörst! Bedenke, dass du der Macht der Finsternis entrissen und in das Licht und das Reich Gottes aufgenommen bist.4 Ein anderer Kirchenvater erkannte einen tiefen Sinn darin, dass der allmächtige Gott uns als neugeborenes Kind im Stall von Bethlehem vorgestellt wird: „Er kommt nicht im Haus seiner Eltern, sondern auf der Reise zur Welt, um in Wirklichkeit zu zeigen, dass er hinsichtlich der menschlichen Natur, die er angenommen hatte, wie in einem fremden Land geboren wird.5

„Zu Weihnachten“, sagte der heilige Josefmaria, „betrachte ich immer gerne die Darstellungen des Christuskindes. Diese Figuren, die uns den Herrn zeigen, der sich entäußert, erinnern mich daran, dass Gott uns ruft, dass der Allmächtige sich uns hilfsbedürftig zeigen wollte, dass er uns Menschen brauchen wollte. Von der Krippe in Bethlehem aus sagt Christus dir und mir, dass er uns braucht; er drängt uns zu einem christlichen Leben ohne Kompromisse, zu einem Leben der Hingabe, der Arbeit, der Freude. Wir werden niemals die wahre gute Laune erlangen, wenn wir Christus nicht wirklich nachahmen, wenn wir nicht demütig sind wie er. Und nochmals: Seht ihr, wo sich die Größe Gottes verbirgt? In einer Krippe, in Windeln, in einem Stall! Die erlösende Wirksamkeit unseres Lebens kann sich nur in Demut vollziehen, indem wir aufhören, an uns selbst zu denken, und die Verantwortung spüren, den anderen zu helfen.“6


DEN VERBORGENEN GOTT werden wir in diesen Tagen anbeten, so oft wir an die Krippe treten, um das Kind zu küssen und zu liebkosen. Wer wird sich dem göttlichen Wesen nicht nähern? Wer wird sich nicht dem Kind zuwenden, das jetzt seine Arme nach uns ausstreckt und unserer Fürsorge bedarf? In diesen Tagen werden wir dem neugeborenen Jesus unsere ganze Aufmerksamkeit schenken. Wie die Hirten, die ihre Herde zurückgelassen haben, nähern wir uns in Demut der Krippe.

Es sind Tage, die man als Familie erleben sollte und die sich besonders gut für die Beschaulichkeit eignen. Wir können vor der Krippe beten und Gott in Stille anbeten. So vieles wird in diesen Tagen rein, in denen die Liebesakte so intensiv sind! „Bewahrt euch an Weihnachten“, sagte der heilige Paul VI., „den Charakter des Familienfests. Als Christus in die Welt kam, heiligte er das menschliche Leben, im ersten Lebensalter, die Kindheit; er heiligte die Familie, und inbesonders die Mutterschaft; er heiligte das menschliche Zuhause, das Nest der innigsten und umfassendsten natürlichen Gefühle der Verbundenheit (...). Versucht euer Weihnachten, wenn möglich, im Kreise eurer Lieben feiern, macht ihnen das Geschenk eurer Liebe, eurer Treue zu der Familie, von der ihr euer Dasein erhalten habt.7

Wenn wir zusammen mit Maria und Josef vor der Krippe stehen, sehen wir, wie Papst Franziskus sagte, dass „Gott dich nicht liebt, weil du richtig denkst und dich gut benimmst; er liebt dich und fertig. Seine Liebe ist bedingungslos, sie hängt nicht von dir ab. Du kannst falsche Vorstellungen haben, du kannst alles Mögliche angestellt haben, aber der Herr verzichtet nicht darauf, dich zu lieben. Wie oft denken wir, dass Gott gut ist, wenn wir gut sind, und dass er uns straft, wenn wir böse sind. So ist es nicht. In unseren Sünden fährt er fort, uns zu lieben. Seine Liebe ändert sich nicht, sie ist nicht nachtragend; sie ist treu, sie ist geduldig. Das ist das Geschenk, das wir an Weihnachten finden: Wir entdecken mit Staunen, dass der Herr die größtmögliche Unentgeltlichkeit, die größtmögliche Zärtlichkeit ist. Seine Herrlichkeit blendet uns nicht, seine Gegenwart erschreckt uns nicht. Er wird arm an allem geboren, um uns mit dem Reichtum seiner Liebe zu gewinnen.8 Die heilige Jungfrau Maria und der heilige Josef sind unsere erste Familie, mit der wir dieses neue Weihnachtsfest begehen wollen.


1 Hochfest der Geburt des Herrn, Am Tage, Eröffnungsvers.

2 Ebd., Kommunionvers.

3 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 13.

4 Hl. Leo der Große, Predigt I über die Geburt des Herrn, 3.

5 Gregor der Große, Homilien über die Evangelien, 6.

6 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 18.

7 Paul VI., Audienz, 18.12.1963.

8 Franziskus, Predigt, 24.12.2019.

Foto: Walter Chavez (unsplash)