Betrachtungstext: Karwoche – Mittwoch

Judas war ein von Jesus ausgewählter Apostel – Die göttliche Barmherzigkeit ist größer als unsere Schwäche – Eine Hoffnung, die uns zu Gott zurückkehren lässt

DARAUF GING einer der Zwölf namens Judas Iskariot zu den Hohepriestern und sagte: Was wollt ihr mir geben, wenn ich euch Jesus ausliefere? Und sie boten ihm dreißig Silberstücke. Von da an suchte er nach einer Gelegenheit, ihn auszuliefern (Mt 26,14-26). Traditionell gedenkt die Kirche am Mittwoch der Karwoche des Verrats durch Judas. Wie lange scheinen die ersten Begegnungen mit dem, den er für den Messias gehalten hatte, in der Seele dieses Apostels, der sich nun anschickte, Jesus zu verraten, zurückzuliegen! Auch Judas Iskariot war von Christus persönlich ausgewählt worden. Er hätte an der Seite Jesu genau so glücklich und eine Säule der Kirche werden können wie die anderen. Stattdessen entschied er sich dafür, denjenigen, der ihm alles gegeben hatte, um den Preis eines Sklaven zu verraten. Und Gott wollte, dass die Heilige Schrift diese Wirklichkeit nicht verschwieg.

Das tragische Ende ereignete sich beim letzten Abendmahl, in dem Moment also, in dem Jesus von der Angst vor der bevorstehenden Passion und dem Schmerz des Verlassenwerdens durch seine Lieben heimgesucht wird. Und während sie aßen, sprach er: Amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern (Mt 26,21). Die anderen elf Apostel, die ihre Unbeholfenheit kannten und den Worten Christi vertrauten, riefen erstaunt aus: Bin ich es etwa, Herr? Er antwortete: Der die Hand mit mir in die Schüssel eintunkt, wird mich ausliefern. Der Menschensohn muss zwar seinen Weg gehen, wie die Schrift über ihn sagt. Doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird! Für ihn wäre es besser, wenn er nie geboren wäre. Da fragte Judas, der ihn auslieferte: Bin ich es etwa, Rabbi? Jesus antwortete: Du sagst es (Mt 26,22-25).

Ob Judas jemals wieder in die Augen Jesu schaute, wissen wir nicht. Doch hätte er darin keine Spur von Groll oder Zorn gefunden. Christus, sein Freund, hätte ihn immer noch mit derselben freudigen Erwartung angesehen, mit der er ihn einige Jahre zuvor zum Apostel berufen hatte. Papst Franziskus versucht daraus eine Lehre zu ziehen: „Was können wir tun, die wir vor einem Gott stehen, der uns bis hin zur Erfahrung von Verrat und Verlassenheit gedient hat? Wir können nicht verraten, wofür wir geschaffen wurden, und nicht aufgeben, was wirklich zählt. Wir sind auf der Welt, um Gott und unsere Mitmenschen zu lieben. Die Liebe bleibt, alles andere vergeht.1


DER VERRAT des Judas war nicht die Verrücktheit eines Augenblicks, sondern eher die Folge einer Reihe von Lieblosigkeiten. Im Johannesevangelium finden wir eine vielsagende Szene: die Kritik an der Verschwendung durch Maria von Betanien, die Jesus wenige Tage vor dem Passahfest mit kostbarem Öl salbte. Judas wagte es, das Verhalten der Frau indirekt und mit einer altruistischen Begründung zu kritisieren. Das sagte er aber, so die Schrift, nicht, weil er ein Herz für die Armen gehabt hätte, sondern weil er ein Dieb war; er hatte nämlich die Kasse und veruntreute die Einkünfte (Joh 12,6).

Aber weder diese Kränkung noch irgendeine Schwäche ist stark genug, um den Willen eines Gottes zu brechen, der jeden Menschen fortwährend ruft und stets auf unsere Umkehr wartet. Der heilige Josefmaria sah im barmherzigen Wesen Gottes unsere wahre Rüstung: „Wir haben alle unsere Schwächen. Doch diese sollten uns nie davon abhalten, auf den göttlichen Ruf zu achten; im Gegenteil, sie sollten uns dazu führen, uns an diesem Ruf festzuhalten, uns in dieser göttlichen Güte zu bergen wie die alten Krieger, die in ihre Rüstung stiegen.2

Der heilige Augustinus empfiehlt uns eine Haltung der Demut und der ständigen Bitte vor dem Herrn als den besten Weg, um dieser unserer Schwäche zu widerstehen; er sagt mit Blick auf Judas Iskariot: „Hätte er im Namen Christi gebetet, hätte er um Vergebung gebeten; hätte er um Vergebung gebeten, hätte er Hoffnung gehabt; hätte er Hoffnung gehabt, hätte er auf Barmherzigkeit gehofft3 und sein Ende wäre nicht so kläglich gewesen, wie es die Schrift bezeugt (vgl. Mt 27,5). Der Herr wollte nicht, dass Judas ins Verderben stürzt, so wie er das für niemanden will. Selbst während seiner Verhaftung versuchte er noch, ihn zur Vernunft zu bringen, indem er ihn „Freund“ nannte und den Kuss des Jüngers annahm. Vielleicht wartete Christus, als er schon am Kreuz hing, noch darauf, dass sein Apostel zurückkehrte, um ihm zu vergeben, wie er es mit dem reuigen Schächer tat.


AUCH PETRUS verleugnet den Herrn in dieser Nacht des Verrats, und zwar dreimal. Doch während er, der das Fundament der Kirche sein würde, seine Sünde mit Liebestränen beweinte, hatte Judas nicht die Demut, zu seinem Herrn zurückzukehren und seine Sünde zu gestehen. Und während Petrus an der Hoffnung festhielt, hatte Judas Iskariot sie verloren und vertraute nicht auf die Barmherzigkeit des Herrn.

Der heilige Josefmaria sagte zu dieser Stelle im Evangelium: „Seht, wie groß die Tugend der Hoffnung ist! Judas erkannte die Heiligkeit Christi und bereute das Verbrechen, das er begangen hatte, so dass er das Geld, den Preis für seinen Verrat, nahm und es jenen ist Gesicht schleuderte, die es ihm zum Lohn für seinen Verrat gegeben hatten. Doch … es fehlte ihm die Hoffnung, die Tugend, die nötig ist, um zu Gott zurückzukehren. Hätte er Hoffnung gehabt, hätte er noch immer ein großer Apostel werden können. Jedenfalls wissen wir nicht, was im Herzen dieses Menschen vor sich gegangen ist noch ob er sich im letzten Moment der Gnade Gottes geöffnet hat. Nur der Herr weiß, was in jenem Herzen zuletzt geschah. Verliert also nie das Vertrauen, gebt nie die Hoffnung auf, selbst wenn ihr die größte Dummheit begangen hättet. Reden, bereuen, sich bei der Hand nehmen lassen, und alles kommt in Ordnung.“4

Das ist etwas, das wir aus dem heutigen Evangelium lernen können: Egal wie groß unsere Vergehen sind, Gottes Barmherzigkeit ist immer größer. Alles hat eine Lösung, wenn wir uns dem Herrn zuwenden und unser Herz der Gnade öffnen, damit Christus unsere Wunden heilen kann. Und dies ist sogar mit Gewinn möglich, wie der heilige Josefmaria schrieb: „Die Angst und die Scham, die die Aufrichtigkeit verhindern, sind die größten Feinde der Beharrlichkeit. Wir sind aus Lehm; doch wenn wir reden, erlangt der Lehm die Festigkeit von Bronze.5 Durch seine Demut hat Petrus, der Fels der Kirche, diese Festigkeit erlangt, und das ist es, worum wir Jesus durch Maria, seine und unsere Mutter, bitten.


1 Franziskus, Predigt, 5.4.2020.

2 Hl. Josefmaria, Briefe 2, Nr. 47a.

3 Hl. Augustinus, Kommentar zu Psalm 108, Nr. 9.

4 Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen aus einer Predigt, 8.12.1968.

5 Hl. Josefmaria, Briefe 2, Nr. 41a.