Betrachtungstext: 7. Woche im Jahreskreis – Dienstag

Der wahre Messias – Die Ambitionen der Apostel – Das Zusammenleben angenehm gestalten

IN DER volkstümlichen Vorstellung der Israeliten zur Zeit Jesu war der erwartete Messias ein Führer, der dazu berufen war, das Volk von der Fremdherrschaft zu befreien und dann eine neue politische Ordnung zu errichten. Man kann sich daher leicht vorstellen, wie verblüfft die Apostel waren, als der Herr seine Passion ankündigte: "Der Menschensohn wird in die Hände von Menschen ausgeliefert und sie werden ihn töten" (Mk 9,31). Der Messias wird, menschlich gesehen, kein Sieger sein. Obwohl Jesus auch die leuchtende Prophezeiung seiner Auferstehung hinzufügt ‒ "doch drei Tage nach seinem Tod wird er auferstehen" (Mk 9,31) ‒, sind die Jünger noch nicht bereit, dieses Ereignis zu begrüßen und seine tiefe Bedeutung anzunehmen. Der Evangelist schreibt, dass "sie das Wort aber nicht verstanden, sich jedoch fürchteten, ihn zu fragen" (Mk 9,32).

Es kommt oft vor, dass wir eine vorgefasste Meinung von der Wirklichkeit haben. Und diese Vorstellung, selbst wenn wir wissen, dass sie unvollkommen oder voreilig ist, ist nicht immer leicht zu ändern. Hinter dieser Einstellung kann eine gewisse Befürchtung stehen, dass die Wahrheit unseren Wünschen oder Plänen widerspricht und Aspekte unseres Lebens ins Rampenlicht rückt, die geändert werden müssen. Die Gewissenserforschung ist ein guter Zeitpunkt, um "in Ruhe noch einmal über das nachzudenken, was in unserem Tagesablauf geschieht und lernen, in den Bewertungen und Entscheidungen zu erkennen, was uns wichtig ist, wonach wir suchen und warum, und was wir am Ende gefunden haben. Vor allem, indem wir lernen zu erkennen, was unser Herz erfüllt".1

"Möge ich mit deinen Augen, mein Christus, sehen, Jesus meiner Seele"2: So betete der heilige Josefmaria vor allem in den letzten Jahren seines Lebens. Wir können den Herrn um den Mut bitten, uns immer wieder bekehren zu wollen, und dass er in diesen Momenten der Prüfung unser Herz reinigt, damit wir den wahren Messias in unserem gewöhnlichen Leben finden.


DIE VORSTELLUNG eines irdischen Messias war so tief in den Aposteln verwurzelt, dass sie die Worte des Herrn ignorierten und begannen, über eine Angelegenheit zu diskutieren, die sie wirklich betraf: wo jeder von ihnen im zukünftigen Reich seinen Platz finden würde und wem Jesus die größte Autorität geben würde. Sie führten diese Gespräche, während sie auf den Straßen Galiläas unterwegs waren. Als sie in Kafarnaum ankamen, fragte der Herr sie, worüber sie auf ihrer Reise gesprochen hätten. Sie schwiegen, vielleicht schämten sie sich dafür, dass sie hinter seinem Rücken mit einer Logik argumentiert hatten, die sich von der Lehre des Meisters unterschied.

Jesus beschloss dann geduldig, ihre Denkweise mit ihnen zu teilen und sie zu lehren: "Da setzte er sich, rief die Zwölf und sagte zu ihnen: Wer der Erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein. Und er stellte ein Kind in ihre Mitte, nahm es in seine Arme und sagte zu ihnen: Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt nicht nur mich auf, sondern den, der mich gesandt hat" (Mk 9,35-37).

Der Herr stellt ein Kind in den Mittelpunkt, damit wir verstehen, dass wir, um in das Reich Gottes zu gelangen, weniger berechnend und leichteren Herzens sein müssen, dass wir klein und einfach werden müssen; dass wir unsere Ambitionen und Sorgen in Gottes Hände legen müssen. Die wahre Autorität besteht nicht darin, andere zu beherrschen, sondern allen zu dienen. Christus lehrt uns nicht, uns mit einer Art Mittelmäßigkeit abzufinden oder unsere eigenen Talente zu verleugnen; er erinnert uns vielmehr an die Notwendigkeit, unsere Gedanken, Wünsche und Bemühungen auf das Wichtigste zu richten: die Liebe zu ihm und zu den anderen, die sich im Dienen manifestiert. Mit dem heiligen Josefmaria können wir wiederholen: "Jesus, lass mich in allem der Letzte sein ‒ nur in der Liebe der Erste".3 


CHRISTUS stellt sich als Diener aller dar: "Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele" (Mk 10,45). Auch wir können unser Leben zu einer Fortsetzung des Dienstes Christi an den anderen machen: in unserer Arbeit, in unserem Familienleben und in unseren Freundschaften.

Die Nächstenliebe, die den echten Dienst antreibt, kann in unseren täglichen Bemühungen, das Leben der Menschen um uns herum ein wenig angenehmer zu gestalten, konkret werden. "Ein Zugewinn an Liebenswürdigkeit, Freude, Geduld, Optimismus, Feingefühl und an allen Tugenden, die das Zusammenleben liebenswert machen", schreibt der Prälat des Opus Dei, "ist wichtig, damit Menschen sich angenommen fühlen und glücklich sein können".4 Jesus Christus selbst hat auf diese Weise seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, allen Menschen zu dienen: Er hörte den Menschen zu, die zu ihm kamen, erklärte ihnen geduldig seine Lehren, wusch den Aposteln die Füße, hatte Mitgefühl mit den Nöten derer, die ihm folgten.

"Ich habe oft geäußert", sagte der heilige Josefmaria, "dass ich ut iumentum sein möchte, wie ein kleiner Esel vor Gott. Und das muss eure und meine Haltung sein, auch wenn es uns etwas kostet. Bitten wir die heilige Jungfrau, die sich Ancilla Domini nannte, um Demut. Mit welcher Hingabe sagst du jeden Tag Serviam! Ist es nur ein Wort, oder ist es ein Schrei, der aus der Tiefe deiner Seele kommt?"5 Bei jeder Beschäftigung und in unseren beruflichen Tätigkeiten können wir jene Tugenden üben, die uns dazu bringen, den anderen Personen einen frohen Tag zu bereiten und sie an der Liebe Gottes teilhaben zu lassen, die uns bewegt.


1 Papst Franziskus, Generalaudienz, 5.10.022.

2 Hl. Josefmaria, Notizen von einer Betrachtung, 19.3.1975.

3 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 430.

4 Msgr. Fernando Ocáriz, Pastoralbrief, 1.11.2019, Nr. 9.

5 Hl. Josefmaria, Notizen von einer Betrachtung, 19.3.1975.