Betrachtungstext: 7. Osterwoche – Freitag

Sanftmut ist eine Frucht des Heiligen Geistes – Das Joch des Herrn ist sanft – Die Sanftmütigen werden das Land erben

IN DER LISTE der Früchte des Heiligen Geistes, die Paulus erstellt hat, finden wir an achter Stelle die Sanftmut (vgl. Gal 5,23). Ihre besondere Fähigkeit besteht darin, so erklärt Thomas von Aquin, „die Leidenschaft des Zorns zu besänftigen“1. Vielleicht fragen wir uns häufig, warum es Situationen oder Menschen gibt, die uns wütend machen. Manchmal werden wir von einem Gefühl der Wut überrascht oder spüren, wie es in unserem Herzen brodelt. Es ist klar, dass der Zorn in unserem Leben präsent sein kann und unseren eigenen wie den Frieden unserer Mitmenschen wirksam bedroht.

Eine der Wirkungen des Zorns besteht darin, so sagt der heilige Thomas weiter, „dass er aufgrund seines Dranges den Verstand des Menschen daran hindert, die Wahrheit frei zu beurteilen“2. Daher kann ein erster Schritt zu seiner Überwindung darin bestehen, uns selbst so gut wie möglich zu kennen: zu wissen, wie unser Zorn ausbricht, wie er kommt und wie er geht. Dieses Wissen und die Gnade, die wir von Jesus erbitten, der gütig und von Herzen demütig (Mt 11,29) ist, sind die festen Grundlagen, um den Kampf um den inneren Frieden aufzunehmen und zu gewinnen. Unsere Verhaltensweisen entstehen nicht spontan, sondern haben sich nach und nach in unserem Herzen entwickelt, manchmal unbewusst. Ein Hindernis, das wir oft nicht erkennen, sind dabei die Urteile, die wir über uns selbst oder andere fällen, insbesondere jene, die eher kritisch oder negativ sind.

Wir erkennen diese Urteile perfekt, wenn sie auf andere Menschen gerichtet sind. Wir bedauern sie, da es weder unsere Aufgabe noch unser Wunsch ist, andere zu beurteilen, betrachten sie stattdessen lieber als Kinder desselben Vaters und sehen in ihnen das Potenzial, den Himmel zu erreichen. Die Urteile bleiben jedoch oft unbemerkt, wenn sie auf uns selbst gerichtet sind, und können leicht zum Nährboden für mehr oder weniger kontrollierte Wutausbrüche werden. Die Emotionen, die daraus entstehen, dass ich mich verurteilt fühle oder wegen meiner scheinbar mageren Ergebnisse enttäuscht bin, können leicht – in Form von Zorn – in meine Interaktion mit den täglichen Umständen einfließen. Zorn kann daher als ein Indikator dafür dienen, dass mein Herz Ruhe und inneren Frieden benötigt. Wir bitten den Heiligen Geist um Hilfe, damit wir die verborgenen Quellen unseres Handelns besser verstehen können.


IM EVANGELIUM der heutigen Messe werden wir Zeugen einer einzigartigen Szene, in der Jesus Petrus eine unschätzbare Hilfe zuteil werden lässt. Jesus will das Herz des Petrus heilen, er will ihm versichern, dass er keinen Groll gegen ihn hegt und dass sein Verrat kein Hindernis für die Aufgabe darstellt, die er ihm anvertrauen will. Zur Wiedergutmachung seiner dreimaligen Verleugnung fragt Jesus Petrus dreimal, ob er ihn liebt. Jesus tut dies behutsam und schrittweise und bekräftigt nach jeder Frage sein vollstes Vertrauen in die Absichten seines Apostels. Jesus hegt keinen Zweifel daran, dass Petrus mit all seinen Stärken und Schwächen seinen Brüdern helfen wird. In Petrus können wir gewissermaßen den Auftrag finden, den Gott jedem von uns gegeben hat: Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht (Mt 11,29-30).

Mit Papst Benedikt können wir uns fragen: „Was ist dieses ,Joch‘, das statt zu drücken leichter macht, das statt zu erdrücken entlastet?“3 Sicherlich macht es Petrus traurig, die Frage nach seiner Liebe zu Jesus dreimal zu hören, da sie ihn an seinen Verrat erinnert. Doch mit der Zeit und mit Hilfe des Heiligen Geistes wird sich dieses Gespräch für Petrus in eine Quelle der Ermutigung und Gelassenheit verwandeln. Das strahlende Licht in Jesu Augen überzeugte ihn letztendlich davon, dass Jesus ihm von Herzen vergeben hatte. Jesus machte ihm keine Vorwürfe für sein Verhalten, vor dem er zudem gewarnt worden war. Das Vertrauen, das Jesus in Petrus gesetzt hatte, hatte nicht abgenommen, sondern war gewachsen. Es war ein süßes Joch, das Petrus' Auftrag erleichterte und ihn darin bestärkte.

Trotz der Traurigkeit, die die schmerzhafte Erinnerung hervorgerufen hatte, fand der Apostel schließlich Frieden. Die aufgewühlten Gewässer seiner Seele kamen durch die Worte und den Blick Jesu zur Ruhe. Er hörte auf, sich selbst fortwährend zu beurteilen, wie er es bis zu diesem Moment getan hatte. Jesus wollte, dass er die Leichtigkeit und Freude wiederfindet und die Bürde loslässt. Wenn wir uns von Gott lieben lassen, entdecken wir mit dem heiligen Josefmaria: „Das Joch ist die Freiheit, das Joch ist die Liebe, das Joch ist die Einheit, das Joch ist das Leben, das er uns am Kreuz verdient hat.4 Zusammen mit der Wahrheit seines Verrats entdeckte Petrus die ganze Zuneigung, das Verständnis und das Vertrauen, das Christus in ihn setzte: Dies war seine endgültige Wahrheit.


JESUS HATTE verheißen, dass die Sanftmütigen das Land erben würden (vgl. Mt 5,5), und nun zeigte er Petrus, wie er dorthin gelangen konnte. Das versprochene Land ist das Paradies, die ewige Ruhe, die volle und vollständige Glückseligkeit, der Himmel. Dort wird sich niemand verurteilt fühlen, sondern in ungetrübtem Glück das göttliche Wohlgefallen auf sich ruhen fühlen. Die ewige Ruhe ist dabei nicht die Ruhe, wie sie ein treuer Mensch nach harter Arbeit verdient; das wäre bereits viel, aber der Himmel ist unendlich viel größer. „Könnt ihr euch vorstellen, wie es sein wird, dort anzukommen, Gott zu begegnen und diese Schönheit zu sehen, diese Liebe, die sich in unsere Herzen ergießt, die satt macht, ohne zu sättigen?5, fragt der heilige Josefmaria.

In Momenten, in denen wir – insbesondere angesichts unserer eigenen Schwachheit – unseren inneren Frieden zu verlieren drohen, können wir einen bekannten Ratschlag von ihm anwenden: „Warum solltest du zornig sein, wenn du durch deinen Zorn Gott beleidigst, deinen Nächsten ärgerst, dir selbst das Leben schwer machst, die Dinge nicht in Ordnung bringst ... und dich schließlich ,ent-zornen’ musst?“6 Und wenn wir Gott nicht erlauben, uns zu vergeben, ärgern wir am Schluss unseren Nächsten: Darin besteht der Zorn. Wir wollen den göttlichen Beistand mit Worten von Papst Franziskus um Hilfe bitten: „Heiliger Geist, Gottes heftiger Sturm, erfasse uns. Wehe in unseren Herzen und lass uns die Zärtlichkeit des Vaters atmen. Erfasse die Kirche und treibe sie bis zu den Enden der Erde, damit sie, von dir getragen, nichts anderes bringe als dich. Hauche der Welt die sanfte Frühlingswärme des Friedens und die frische Erquickung der Hoffnung ein. Komm, Heiliger Geist, verwandle unser Inneres und erneuere das Antlitz der Erde.“7

Petrus tat, wozu Jesus ihn nach ihrem Gespräch erneut aufforderte: Folge mir nach (Joh 21,19). Wir bitten unsere Mutter, die Braut des Heiligen Geistes, uns zu helfen, die Sanftmut zu erlangen, und uns anzutreiben, Frieden und Freude bis an die Grenzen der Erde zu säen.


1 Hl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, II-II, q.157, a.1.co.: mansuetudo autem proprie diminuit passionem irae.

2 Ebd., a.4.: Nam ira, quam mitigat mansuetudo, propter suum impetum maxime impedit animum hominis ne libere iudicet veritatem.

3 Benedikt XVI., Angelus-Gebet, 3.7.2011.

4 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 31.

5 Hl. Josefmaria, Informationsblatt über den Seligsprechungsprozess des Dieners Gottes, Nr. 1, S. 5.

6 Hl. Josefmaria, Aufzeichnungen, Nr. 881.

7 Franziskus, Predigt, 20.5.2018.