Betrachtungstext: 4. Woche der Fastenzeit – Dienstag

Jesus will uns heilen – Wünsche und Geduld im Kampf – Der Christ ist verständnisvoll gegenüber anderen

WIE SEHR erfüllt uns mit Hoffnung, dass Jesus jenen nahe ist, die ihn brauchen! Ein ums andere Mal erleben wir in den Evangelien, wie sich Jesus Not leidenden Menschen zuwendet. Heute betrachten wir die Heilung eines Gelähmten, an den keiner sich mehr erinnerte und der am Teich von Betesda lag. Archäologische Ausgrabungen haben ergeben, dass dieser Teich mit fünf Säulengängen verbunden war, wie es Johannes beschrieb: Er bestand aus zwei getrennten Becken, zwischen denen zusätzlich zu den vier seitlichen ein fünfter Säulengang errichtet worden war. Hier lagen viele Kranke, darunter Blinde, Lahme und Verkrüppelte (Joh 5,3-4). Es gab damals den Glauben, dass ein Engel des Herrn von Zeit zu Zeit herabkam, um das Wasser zu bewegen, und dass derjenige, der als erster in den Teich stieg, geheilt wurde.

Jesus ging auf jene erbarmungswürdige Menschenansammlung zu. Da fiel sein Blick auf den Gelähmten, der möglicherweise der hilfloseste und verlassenste von allen war. Und aus eigener Initiative bot Jesus ihm an, ihn zu heilen, und fragte ihn: Willst du gesund werden? Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich, sobald das Wasser aufwallt, in den Teich trägt. Während ich mich hinschleppe, steigt schon ein anderer vor mir hinein. Da sagte Jesus zu ihm: Steh auf, nimm deine Liege und geh! Sofort wurde der Mann gesund, nahm seine Liege und ging (Joh 5,6-9).

„Du sagtest mir“, schrieb der heilige Josefmaría, „im Leben Jesu gebe es Szenen, die dich besonders ergreifen: So wenn er mit leidenden Menschen zusammentrifft ... Wenn er den an Leib und Seele Geschundenen Frieden und Genesung bringt ... Es sei ergreifend zu sehen, wie er den Aussatz heilt, das Augenlicht wiederschenkt, den Gelähmten am Teich gesund macht, den armen Teufel, den alle vergessen haben ... Er erscheint dir dann so ganz und gar menschlich, so nah! Ja, und er ist es, denn er bleibt immer derselbe wie damals.1 Durch die Sakramente kann uns Christus sogar noch näher sein als bei jener Begegnung. Und wie dem Gelähmten im Evangelium bietet er uns beständig unsere Heilung an.


JENER GELÄHMTE war achtunddreißig Jahre lang krank. Sein Leben war ein langes Hoffen gewesen, bis Jesus endlich bei ihm vorbeikam. Wir können von seiner Geduld lernen, denn, so schrieb ein Kirchenlehrer, „die ganze Zeit über blieb er standhaft und ausdauernd und hoffte, von seiner Krankheit befreit zu werden“2. Auch wir sind aufgerufen, im inneren Leben gelassen und ausdauernd zu sein. Wir benötigen eine optimistische Geduld, um unseren christlichen Kampf zu führen wie auch uns zu bemühen, Tugenden zu erwerben. Es wird einige Aspekte geben, in denen es uns, zumindest zeitweise, scheint, dass wir keine Fortschritte machen, und andere, die eine lange Zeit des freudigen Kampfes erfordern, vielleicht ein ganzes Leben lang; so war es auch bei dem Gelähmten, der mit seinem Gebrechen ein hohes Alter erreichte und dennoch Jesus noch zu Gesicht bekam.

Eine übermäßige Ungeduld, eine krampfhafte innere Spannung, ein bis zur Sorge reichender Eifer, zu beurteilen, ob wir uns bessern oder nicht, können manchmal Ausdruck eines gewissen Hangs zum Perfektionismus sein. Diese Haltung entspricht jedoch nicht dem kindlichen, vertrauensvollen und demütigen Ringen, das der Herr von uns erbittet. Sicherlich müssen wir danach trachten, nicht bei frommen Wünschen zu bleiben und bei unseren Vorhaben letzte Steine zu setzen. Doch ist auch wahr, dass wir nicht immer erfolgreich sein werden. Wir sollten deshalb die Gelassenheit nicht verlieren.

„Manchmal“, so sagt der heilige Josefmaria, „gibt sich unser Herr mit unseren Wünschen zufrieden, andere Male sogar schon mit unseren Wünschen, Wünsche zu haben, wenn wir mit Freude die Demütigung ertragen, uns als kleine Wichte zu erkennen. Das ist es, was uns hoch in den Himmel bringen wird. Denn wenn einer erkennt, dass er vorankommt und noch dazu gibt viele wunderbare Menschen, die sich selbst für äußerst gewöhnlich halten, für unfähig, das zu tun, was Gott, unser Herr, ihrem Wissen nach will. Und sie sind hervorragend, außergewöhnlich. Macht euch nicht allzu viele Gedanken darüber, ob ihr vorankommt oder nicht, ob ihr euch bessert oder auf der Stelle tretet. Worauf es ankommt, ist, dass man sich bessern möchte, dass man den Wunsch hat, zu wollen, und dass man aufrichtig ist und sein Herz weit öffnet. Auf diese Weise wird Gott euch Licht schenken.3


DIE GEDULD mit uns selbst, die daher kommt, dass wir zuerst auf Gott blicken und immer mehr mit seiner Hilfe rechnen, wird uns zugleich dazu bewegen, „mit unseren Mitmenschen verständnisvoll zu sein, denn wir begreifen, dass die Seelen – wie der gute Wein – mit der Zeit besser werden“4. Manchmal fällt es uns schwer, dieses geduldige Verständnis gerade für jene Menschen aufzubringen, die uns am nächsten stehen, weil wir gerne dazu neigen, zu sehr auf einige Mängel zu achten, statt all das Gute wertzuschätzen, das sie in sich vereinigen. Und andere Male kann es nicht leicht sein, jene zu entschuldigen, willkommen zu heißen und wirklich zu lieben, die scheinbar weit von Gott entfernt sind oder die aufgrund der Bildung, die sie erhalten haben, Anschauungen vertreten, die dem Glauben fremd sind.

Im Evangelium sehen wir, dass der Gelähmte nach seiner Heilung durch Jesus seine Bahre nimmt und nach Hause geht. Doch dann begegnet er einigen – möglicherweise hochgestellten – Juden, die ihn anschuldigen, am Sabbat einen Gegenstand zu tragen; sie nehmen Anstoß daran, dass Jesus an diesem Tag geheilt hat. „Das ist eine Geschichte, die sich im Leben sehr oft wiederholt“, sagte Papst Franziskus in einer Morgenbetrachtung, „ein Mann – eine Frau –, der sich seelisch krank fühlt, der traurig ist, der im Leben zahlreiche Fehler begangen hat, spürt an einem gewissen Punkt, dass das Wasser in Bewegung gerät, dass der Heilige Geist da ist, der etwas bewegt; oder er vernimmt ein Wort. Und er reagiert: ,Ich möchte da hingehen!‘ Er fasst Mut und geht. Doch wie oft stößt dieser Mann heute bei den christlichen Gemeinschaften auf verschlossene Türen. (...) Die Kirche hat immer offene Türen! Sie ist das Haus Jesu, und Jesus heißt willkommen, und er heißt nicht nur willkommen: Er geht hinaus zu den Menschen, genauso, wie er hinging, um diesem Mann zu begegnen. Und wenn die Menschen verletzt sind, was tut Jesus dann? Tadelt er sie dafür, dass sie verletzt sind? Nein, er geht und nimmt sie auf seine Schultern.“5

Der heilige Josefmaria ermunterte seine Söhne und Töchter, „mit einem Herzen und offenen Armen zu leben, die bereit sind, jeden aufzunehmen, denn“, wie er erklärte, „ist es nicht unsere Aufgabe, zu richten, sondern unsere Pflicht, allen Menschen brüderlich zu begegnen. Es gibt keine Seele, die wir von unserer Freundschaft ausschließen“, fuhr er fort, „und niemand darf sich dem Werk Gottes nähern und mit leeren Händen gehen: Alle müssen sich geliebt, verstanden und liebevoll behandelt fühlen.“6 Wir bitten Maria, die Mutter der Barmherzigkeit, uns zu helfen, Gottes Liebe, Verständnis und Barmherzigkeit unter den Menschen und uns herum zu verbreiten.


1 Hl. Josefmaria, Spur des Sämanns, Nr. 233.

2 Hl. Johannes Chrysostomus, Homilien über das Johannesevangelium, S. 36.

3 Hl. Josefmaria, Notizen aus einem Familientreffen, 19.3.1972.

4 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 78.

5 Papst Franziskus, Tagesmeditation, 17.3.2015.

6 Hl. Josefmaria, Briefe 4, Nr. 25.