Betrachtungstext: 4. Januar

Wir sind wahrhaft Kinder Gottes – Die Erfahrung der Begegnung mit Jesus – Dank- und Bittgebet

IN DIESEN ERSTEN TAGEN des neuen Jahres lenkt die Liturgie unseren Blick auf den ersten Brief, den der Apostel Johannes nach seiner Rückkehr aus der Verbannung auf Patmos in Ephesus verfasste. Das zentrale Thema dieses Schreibens ist die Gemeinschaft des Christen mit Gott, die wir im Glauben an Jesus Christus und in der brüderlichen Liebe finden. Mehrmals betont der Apostel: „Gott ist die Liebe.“ Er weist darauf hin, dass Gott die Quelle alles Geschaffenen ist und der Christ durch die Liebe zu einem Kind Gottes wird, tatsächlich und nicht nur im bildlich-symbolischen oder poetischen Sinn (vgl. 1 Joh 3,1). Auf Grund dieser Kindschaft können wir uns im wahrsten Sinn als „aus Gott geboren“ bezeichnen, wie dies die erste Lesung verdeutlicht: Jeder, der von Gott stammt, tut keine Sünde, weil Gottes Same in ihm bleibt, und er kann nicht sündigen, weil er von Gott stammt. Daran kann man die Kinder Gottes (...) erkennen (1 Joh 3,9-10).

Der heilige Josefmaria betonte die Gewissheit, dass wir „Kinder Gottes, vielgeliebte Kinder Gottes“ sind. In einem Beisammensein mit den Studenten des Römischen Kollegs an Heiligabend 1967 sagte er: „In dieser Nacht wird uns der Herr durch seine Mutter viele neue Gnaden zukommen lassen, damit wir in der Liebe und in der Gotteskindschaft wachsen.“ Er ermunterte die Burschen dazu, dem Kind, unserem Bruder, zu danken, der uns zu Kindern des Vaters machte, und ihn zugleich in seiner Wehrlosigkeit zu betrachten: „Obwohl er der Allmächtige ist, Gott ist, hat er sich zu einem hilfsbedürftigen Kind gemacht, schutzlos, unserer Liebe bedürftig.“ Da das Kind vor allem nach der Wärme unserer Herzen verlangt, sollen wir alles ausreißen, was darin stört: „Du und ich, mein Sohn, wir wollen alles in unserem Herzen entdecken, was stört … Weg damit! Aber wirklich.“ Und er gab ihnen nochmals zu bedenken, was der heilige Johannes schon im ersten Kapitel seines Evangeliums schrieb: „Quotquot autem receperunt eum dedit eis potestatem filios Dei fieri (Joh 1,12). Er gab uns die Macht, Kinder Gottes zu sein. Gott wollte uns als seine Kinder haben.“1


ZWEI FISCHER aus Kafarnaum, Johannes und Andreas, sahen Johannes den Täufer als bedeutenden Propheten an und waren seine Jünger. Als Jesus einmal an ihnen vorbeiging, sagte der Täufer: Seht, das Lamm Gottes (Joh 1,36). Die beiden Fischer hörten, was er sagte, und folgten Jesus (Joh 1,37). Von diesem Moment an sollte nichts mehr so sein wie früher. Papst Johannes Paul II. kommentierte diese Begegnung in einer Botschaft an die Jugend: „Voller Neugierde beschlossen sie, ihm aus der Entfernung zu folgen, fast schüchtern und ohne zu wissen, wie sie es anstellen sollten, bis er selbst sich umwandte und fragte: Was wollt ihr? So stieß er den Dialog an, mit dem das Abenteuer begann.2 Johannes und Andreas gingen Jesus nach, stellten ihm Fragen, sahen, wo er wohnte und blieben bei ihm (Joh 1,39); an diesem Tag wurden sie für immer Apostel.

Der heilige Papst kommentierte weiter: Jesus ergreift die Initiative. Wenn er im Spiel ist, führt die Frage immer zu einer Wende: aus Fragenden werden Befragte, aus Suchenden werden Gefundene; er ist tatsächlich jener, der uns seit jeher zuerst geliebt hat (vgl. 1 Joh 4,10). Das ist die grundlegende Dimension der Begegnung: Es geht nicht um etwas, sondern um jemanden, um den, der lebt. Die Christen sind nicht Jünger eines philosophischen Systems: Sie sind Männer und Frauen, die im Glauben die Erfahrung der Begegnung mit Christus gemacht haben (vgl. 1 Joh 1,1-4).3

Für die beiden Freunde Johannes und Andreas war zunächst nicht klar, wer Jesus wirklich war. Jahre des Zusammenlebens und des Zuhörens würden nötig sein, um das Geheimnis des Sohnes Gottes zu entziffern. Ohne Furcht überschreiten auch wir die Schwelle seines Hauses, um mit dem Meister von Angesicht zu Angesicht zu reden, sein Wort zu hören und zu betrachten und ihm unser Herz zu öffnen, wie man es gegenüber einem Freund tut. In der Stille des Gebets lernen wir den Herrn kennen. Die kraftvolle und mutige Frage der Jünger – „Meister, wo wohnst du?“ – entspringt auch unserer Seele. Und Papst Johannes Paul II. ermutigt uns: „Lernt von neuem, in der Stille des Gebets, die Antwort Jesu zu hören: Kommt und seht.“4


AN JENEM WEIHNACHTSABEND hatte der heilige Josefmaria eine besondere Sorge: seine Söhne zu einem kindlichen und beständigen Gebet nach dem Beispiel des Propheten Nehemias zu ermuntern: Oro coram te, hodie, nocte et die (Neh 1,6); ich bete Tag und Nacht vor dir. Auch der Schlaf ist Teil des Gebets, wie der Herr selbst sagte: Oportet semper orare, et non deficere (Lk 18,1). „Wir müssen immer, immer beten. Wir müssen die Notwendigkeit verspüren, uns an Gott zu wenden, nach jedem Erfolg und jeder Niederlage im inneren Leben. Besonders in diesen Fällen wollen wir demütig zum Herrn zurückkehren und ihm sagen: Trotz allem, ich bin dein Sohn! Wir wollen die Rolle des verlorenen Sohns spielen.“ Immer zu beten bedeutet dabei nicht, wie die Schrift an einer anderen Stelle sagt, lange mündliche Gebeten zu verrichten (vgl. Mt 6,7), sondern uns innerlich, ohne den Lärm von Worten, ohne äußere Gesten an Gott zu wenden. Auf die Frage, wo wir beten sollen, antwortete er: „In angulis platearum (Mt 6,5). Wenn wir über die Straßen und Plätze gehen, sollen wir fortwährend beten.“5

An diesem Tag empfahl der heilige Josefmaria, für Weihnachten zu danken, im Gebet aber auch zu träumen, große Dinge auszudenken und darum zu bitten, dass der Wille Gottes sich in vielen Seelen verwirkliche. „Wie werden wir beten? Mit Danksagungen. Sagen wir Gott Vater Dank, danken wir Jesus, der sich für unsere Sünden zum Kind gemacht hat; der sich entäußert hat, indem er in Betlehem und am Kreuz mit offenen, ausgebreiteten Armen, in der Geste des Ewigen Priesters litt (…). Und mit der Bitte. Worum sollen wir bitten? Worum bittet ein Kind seinen Vater? Papa…, den Mond!: absurde Dinge. Bittet und ihr werdet empfangen, klopft an und es wird euch aufgetan (Mt 7,7). Worum können wir Gott nicht bitten? Unsere Eltern haben wir um alles gebeten. Bittet um den Mond und er wird ihn euch geben; bittet ihn ohne Furcht um alles, was ihr wollt. Er wird es euch immer geben, auf die eine oder andere Weise. Bittet voll Vertrauen.6

Im Haus, in dem Jesus wohnt, erfahren wir auch die liebenswerte Gegenwart Marias. Wir bitten sie, dass wir als aus Gott geborene Kinder leben und mit ihm in seinem Haus wohnen können.


1 Hl. Josefmaria, Im Zwiegespräch mit dem Herrn, „Beten ohne Unterlass“, 1a-2b (auf Deutsch nicht verfügbar).

2 Hl. Johannes Paul II., Botschaft für den 12. Weltjugendtag, Paris 1997.

3 Ebd.

4 Ebd.

5 Hl. Josefmaria, Im Zwiegespräch mit dem Herrn, „Beten ohne Unterlass“, 2c-2d (auf Deutsch nicht verfügbar).

6 Ebd., 3b-3c).

Foto: Priscilla du Preez (unsplash)