Betrachtungstext: 29. Dezember

Die Berufung des Simeon zur Hoffnung – Jesus in der Eucharistie begegnen – Ein Schwert wird deine Seele durchdringen

DER HEILIGE GEIST hatte Simeon offenbart, dass er erst sterben werde, wenn er den Messias gesehen habe. Es ist nicht leicht, sich vorzustellen, wie diese Mitteilung erfolgte. Sagen können wir, dass Simeon eine Berufung zur Hoffnung hatte, und in gewisser Weise sind auch wir dazu berufen. Wir alle haben die Hoffnung, die Werke des Messias zu sehen: seine heilende Gnade, die Freude und das Glück der Erlösung schon hier auf Erden. In Simeon haben wir alle eine Verheißung des Heils erhalten, die sich hienieden, auf dieser Erde, sichtbar und hörbar erfüllt. Der Messias ist nicht fern; er ist herabgestiegen, ist einer von uns geworden, wir können ihn berühren.

Wir wissen auch nicht, wie Simeon das Kind erkannte. Im Evangelium findet sich keine Erwähnung eines äußeren Zeichens. Alles deutet darauf hin, dass es der Geist selbst war, der Simeon antrieb, das Kind zu finden. Da waren Maria und Josef mit ihrem Erstgeborenen. Es war unerhört, dass Gott sich zum Kind machte, es war undenkbar, dass Gott Sohn einer offenbar so gewöhnlichen jungen Frau war. Nichts unterschied sie von den anderen Frauen um sie herum, die ebenfalls mit ihren Erstgeborenen gekommen waren, um sich der Reinigung zu unterziehen. Maria war gekommen, obwohl sie es nicht nötig hatte, wie eine mehr, um die Gebote Gottes aus Liebe, nicht aus Pflicht zu erfüllen. Genauso wenig war ihr Sohn, Jesus, gezwungen, die Sünden der Menschen auf sich zu nehmen, dennoch lud er unsere Schwächen auf sich.

Die Art und Weise, wie Gott sich zeigte und täglich zeigt, kann uns verwirren. Wir können der Zerstreutheit nachgeben und ihn nicht erkennen, wenn er nahe an uns vorübergeht. Viele hielten ihn bloß für einen Einwohner Nazareths mehr, für einen von zahllosen Tempelbesuchern mehr. Das Kommen des Messias und sein Plan zur Rettung aller Menschen erfolgen unauffällig, in der Tiefe und sacht. Gott drängt sich nicht auf, und deshalb hat er unser Fleisch angenommen. Wir bitten Gott, dass er uns wie Simeon unsere Augen öffne, damit wir die Erlösung erkennen, die im Gange ist.


NUN LÄSST DU, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen (Lk 2,29-30). Wir wollen uns fragen: Sind wir aufmerksam genug, um Gottes Erlösungswerk, sein verborgenes und stilles Handeln in allem, was uns umgibt, zu entdecken? In der Messe nehmen wir unmittelbar am Erlösungswerk teil, das Jesus vollbracht hat. Wir greifen seine Gnade mit Händen und machen uns seine Verdienste zu eigen. Wir essen seinen Leib und trinken sein Blut, von dem, wie wir im Hymnus Adoro Te devote singen, „schon ein kleiner Tropfen sühnet alle Schuld, bringt der ganzen Erde Gottes Heil und Huld1.

Simeon sah das Kind nur einmal, aber dieser Moment war ein ganzes Leben des Hoffens wert. Im Gegensatz dazu könnte es uns passieren, dass wir uns daran gewöhnen, die Erlösung zu berühren, da Gott uns in der Eucharistie nahekommen wollte. Es erscheint uns allzu normal, allzu ähnlich von einem Tag zum nächsten. Gelegentlich wünschen wir uns vielleicht einen spektakuläreren Auftritt. Angesichts dieser Versuchung können wir die Hirten nachahmen, die nahe bei Bethlehem Wache hielten. „Es waren“, wie Benedikt XVI. sie schildert, „wache Menschen, in denen der Sinn für Gott und seine Nähe lebendig war. Menschen, die auf Gott warteten und sich nicht damit zufrieden gaben, dass er uns im Alltag so fern scheint. An das wachende Herz kann sich die Botschaft der großen Freude richten: Heute Nacht ist euch der Erlöser geboren. Und nur das wachende Herz ist fähig, die Botschaft zu glauben. Nur das wachende Herz gibt den Mut aufzubrechen, um Gott als Kind im Stall zu finden. 2

Der heilige Josefmaria greift einen Gedanken auf, der uns vielleicht kommt: So viele Jahre täglich kommuniziert! – Ein anderer wäre heilig, hast du mir gesagt, und ich bin noch immer derselbe!3 Wir sind überzeugt, dass das Göttliche überwältigend und begeisternd ist, daher kann uns unsere scheinbare Kälte schmerzen. Doch Gott rechnet auch damit. Simeon zum Beispiel bereitete sich täglich darauf vor, den Messias zu empfangen; jedes Mal sehnte er sich mehr danach, ihn zu sehen, und jeder Tag konnte entscheidend sein. Der heilige Pfarrer von Ars warnte jedoch vor der Nostalgie des Außergewöhnlichen: „Glückseliger als die Heiligen des Alten Testaments, besitzen wir Gott nicht nur durch die Größe seiner Unermesslichkeit, kraft deren er in allem gegenwärtig ist, sondern haben ihn bei uns, wie er sich im Schoß Mariens neun Monate lang befand, wie er am Kreuz hing. Glückseliger noch als die ersten Christen, die fünfzig oder sechzig Wegmeilen zurücklegten, um das Glück zu haben ihn zu sehen, besitzen wir ihn in jeder Pfarrkirche. Jede Pfarrkirche kann sich nach Belieben solch süßer Gesellschaft erfreuen. Oh, glückliches Volk!4


DAS SCHWERT, das das Herz der Mutter Jesu durchstoßen wird, bildet den schmerzlichen Kontrapunkt in einer Szene, die überströmt von Freude und Hoffnung. Es ist der Schatten, der das Reale der Szene unterstreicht. Der heilige Papst Johannes Paul II. hat sie für uns erklärt: „Maria sagt nichts auf die Prophezeiung des Schwertes hin, das ihre Seele durchdringen wird. Sie nimmt, ebenso wie Josef, diese geheimnisvollen Worte an, die die Vorhersage einer sehr schmerzvollen Prüfung enthalten und zugleich den authentischsten Sinn der Darstellung Jesu im Tempel zum Ausdruck bringen. Tatsächlich war das gemäß dem göttlichen Plan damals dargebrachte Opfer, wie es das Gesetz des Herrn vorschreibt: ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben (Lk 2, 24), ein Auftakt für das Opfer Jesu. 5

Auch unser Leben ist ein Gemälde aus Licht und Schatten, ein Geflecht aus Hoffnung und Entmutigung, aus Kampf und Niederlage. Gott weiß das, und gerade in dieser unserer offensichtlichen Gebrechlichkeit scheint er uns am nächsten. Gott lehnt die Illusion einer perfekten, vollendeten, problemlosen Welt entschieden ab; er ist in der Zerbrechlichkeit des Alltags zu finden, in dem, was scheinbar nicht glänzt. Dass Gott bedingungslos auf die Normalität setzt, mag viele Seelen befremden, ist jedoch die Konsequenz seiner Option für die Freiheit. Gott erhebt nicht seine Stimme, er erzwingt sich keinen Zugang zu unserem Leben. Das Zeichen, das uns Weihnachten bringt, ist – mit Worten von Papst Franziskus – „die bis zum Äußersten getriebene Demut Gottes (...). Gott, der uns mit einem von Liebe erfüllten Blick anschaut, der unser Elend annimmt, Gott, der in unser Kleinsein verliebt ist.“ 6

Maria, unsere Mutter, lernte Gott in ihrem neugeborenen Sohn zu entdecken. Seine Tränen, sein Hunger und sein Schlaf sind göttlich und daher erlösend. Der polnische Papst fährt fort: „Von der Prophezeiung des Simeon an vereint Maria ihr Leben auf intensive und geheimnisvolle Weise mit der leidvollen Sendung Christi: Sie wird die treue Mitarbeiterin ihres Sohnes werden bei der Erlösung des Menschengeschlechts. 7


1 Hymnus Adoro te devote.

2 Benedikt XVI., Predigt, 24.12.2008.

3 Hl. Josefmaria, Der Weg Nr. 534.

4 Hl. Pfarrer von Ars, Predigt zu Fronleichnam.

5 Hl. Johannes Paul II., Audienz, 18.12.1996.

6 Franziskus, Predigt, 24.12.2014.

7 Hl. Johannes Paul II., Audienz, 18.12.1996.