DAS JÄHRLICHE Gedenken an die Geburt des Messias in Bethlehem erneuert in den Herzen der Gläubigen die Gewissheit, dass Gott seine Versprechen hält. Deshalb ist der Advent, wie Papst Johannes Paul II. sagte, „eine machtvolle Ankündigung der Hoffnung“1. Beim Nachdenken über diese Hoffnung könnten wir allerdings irrtümlich meinen, sie sei rein zukunftsgerichtet – als bestehe sie darin, die Vergangenheit zurückzuweisen, die Augen vor der Gegenwart zu verschließen und von einer besseren Zukunft zu träumen.
Der Advent weist bewusst über diesen Irrtum hinaus: Diese liturgische Zeit der Hoffnung verbindet das Gedenken an Jesu erstes Kommen in Bethlehem mit der Erwartung seiner glorreichen Wiederkunft. Der Advent erinnert uns somit an Vergangenheit und Zukunft zugleich. Wie Papst Benedikt XVI. treffend sagte: „Unsere Hoffnung hat einen festen Grund, weil sie auf einem geschichtlichen Ereignis beruht, das zugleich über die Geschichte hinausreicht: Dieses Ereignis ist Jesus von Nazaret.“2
Der heilige Lukas beschreibt im Evangelium den historischen Rahmen, in dem Johannes der Täufer, der Vorläufer Christi, predigte: Es war im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa, Herodes Tetrarch von Galiläa, (...). Da erging in der Wüste das Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias (Lk 3,1-2). In der Geburt Jesu, eines Kindes in einer Krippe, trat der Schöpfer selbst in die Geschichte ein, um uns zu erlösen. Dieses Ereignis ist die Wurzel unserer Hoffnung: Gott bleibt kein ferner, unerreichbarer Beobachter, sondern ein Gott, der mit uns lebt und unsere Sorgen teilt.
DER HEILIGE Paulus spricht in der heutigen Lesung mit tiefer Zuversicht: Ich danke meinem Gott (...), ich vertraue darauf, dass er, der bei euch das gute Werk begonnen hat, es auch vollenden wird bis zum Tag Christi Jesu (Phil 1,3.6). Auch wenn wir das Wirken Gottes in unserem Leben nicht immer erkennen – sei es durch Ablenkung oder das Erleben eigener Schwächen –, bleibt er in unserer Seele am Werk. Gott zieht sich nicht zurück, vielmehr hat er ein besonderes Erbarmen für das zerbrochene und zerschlagene Herz (Ps 51,19), denn, wie ebenfalls der heilige Paulus schreibt, wo die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden (Röm 5,20). Der heilige Josefmaria sah in unseren Schwächen sogar eine Chance: „Je deutlicher unsere Schwächen sichtbar werden, desto tiefer können die Grundlagen unseres geistlichen Lebens sein.“3
Hoffnung wächst aus zwei scheinbar gegensätzlichen Haltungen: der Dankbarkeit für das, was Gott bereits in unserem Leben gewirkt hat, und der versöhnten Annahme unserer Vergangenheit. Der Psalmist ruft aus: Ja, groß hat der Herr an uns gehandelt. Da waren wir voll Freude (Ps 126,3). Papst Benedikt XVI. ergänzt: „Wenn wir uns nicht mit unserer Geschichte versöhnen, werden wir auch nicht bereit sein, den nächsten Schritt zu tun. Dann bleiben wir Gefangene unserer Erwartungen und der daraus resultierenden Enttäuschungen.“4 Gott fordert uns nicht zu Unmöglichem auf; er bittet uns, ihn in alle Bereiche unseres Lebens zu lassen, auch in die Verletzlichkeiten unserer Vergangenheit, damit er unsere Schritte in Richtung einer erlösenden Zukunft lenken kann.
IN DER ALTEN Ikonographie wird die Hoffnung oft als Anker dargestellt, ein Symbol für Sicherheit in Zeiten des Sturms. Doch dieser Anker bedeutet nicht Stillstand. Jesus Christus „kommt, um alles zu erneuern“ (Offb 21,5). Indem wir uns in ihm verankern, gewinnen wir die Kraft, Segel zu setzen und mutig neue Horizonte zu entdecken.
Das Buch Baruch ermutigt uns: Leg ab, Jerusalem, das Kleid deiner Trauer und deines Elends und bekleide dich mit dem Schmuck der Herrlichkeit, die Gott dir für immer verleiht! (Bar 5,1). Diese Hoffnung vereint die realistische Annahme unserer Schwächen mit der Offenheit für Gottes tägliche Gnaden. Ohne unsere Vergangenheit zu verleugnen, können wir sie nach und nach mit der Gnade Christi umgestalten, sodass sein Kommen zu Weihnachten nicht nur ein äußeres Ereignis bleibt, sondern eine innere Begegnung wird.
Der heilige Josefmaria beschrieb die Hoffnung als „jene sanfte Gabe Gottes (...) die unsere Seele mit Freude erfüllt“5. Durch die Verankerung unseres Lebens in der Vergangenheit der Erlösung und in der Zukunft der Wiederkunft Christi wird jeder Augenblick unseres Lebens zur Begegnung mit dem Herrn. Maria, die Mutter der Hoffnung, öffnete ihre eigene Geschichte für Gottes Pläne und lebte daher in jedem Moment ihres Lebens mit einer tiefen, unvergänglichen Freude.
1 Hl. Johannes Paul II., Audienz, 17.12.2003.
2 Benedikt XVI., Homilie, 1.12.2007.
3 Vgl. hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 712: „Dein Sturz ist sehr tief! ‒ Fange von hier unten wieder mit dem Aufbau an (...).“
4 Franziskus, Apostolisches Schreiben Patris corde, Nr. 4.
5 Hl. Josefmaria, Freunde Gottes, Nr. 206.