Betrachtungstext: 19. März – Heiliger Josef

Das Gebet Josefs beseelt sein Handeln – Ein Gebet mit dem Blick auf Jesus – Freiheit und Vertrauen, die der Liebe entspringen

DIE BIOGRAPHIEN großer Persönlichkeiten sind meist von außergewöhnlichen Taten und bedeutenden Reden gesäumt. Zudem finden wir sie oft in einem Kontext existenzieller oder sozialer Krisen, die ihren Beitrag sichtbar machen. Die ausgeglichene und starke Gestalt des heiligen Josef, die im Laufe der Jahrhunderte so viel Verehrung geweckt hat, ist umso bemerkenswerter: Die Evangelien überliefern uns nicht ein Wort von ihm, und seinem Handeln haftet nichts Außergewöhnliches an. In unseren Augen erscheint er geradezu als unauffällige Gestalt. Papst Franziskus kommt zu folgendem Schluss: „Der heilige Josef erinnert uns daran, dass all jene, die scheinbar im Verborgenen oder in der ,zweiten Reihe‘ stehen, in der Heilsgeschichte eine unvergleichliche Hauptrolle spielen.1 Auch wenn sich in Josefs Leben keine wunderbaren äußeren Handlungen feststellen lassen, ist sein inneres Leben höchst aktiv. In ihm sehen wir einen Mann, der auf die Herausforderungen aus der Stille des Gebets heraus reagiert und der mit jener Freiheit agiert, die aus der wahren Liebe fließt.

Beim heiligen Johannes Paul II. finden wir folgendes Zeugnis über ihn: Die Evangelien sprechen ausschließlich von dem, was Josef ,tat‘; übereinstimmend decken sie aber in seinen bisweilen von Schweigen umhüllten ,Handlungen‘ eine Atmosphäre tiefer Beschaulichkeit auf.2 Das ganze Leben Josefs war wahres Gebet. Er achtete aufmerksam auf die Stimme Gottes, der hinter allen Ereignissen und Menschen verborgen ist; das befähigte ihn, diese sogar im Traum zu vernehmen. Die Heilige Schrift berichtet, er habe im Schlaf jene Berufung entdeckt, die alle Tage seines Lebens mit Inhalt füllen würde: für Jesus und Maria zu sorgen. Ein Engel besuchte ihn nachts, um ihm Gottes Plan zu enthüllen und ihm damit seinen großen Wunsch zu erfüllen, in der Einswerdung mit dem Willen Jahwes das Glück seines Lebens zu finden (vgl. Mt 1,20). Nicht einmal bei da können wir Josefs Stimme hören. Wir stellen bloß fest, dass alle seine Handlungen von da an die bestmögliche Antwort auf Gottes Einladungen sind.

Zwischen dem inneren Leben des heiligen Josef und seinen sichtbaren Äußerungen entdecken wir nicht die kleinste Fissur, denn er verwandelt sein persönliches Leben in einen Weg des Gebetes. Nur eine zutiefst beschauliche Seele wie die seine ist in der Lage, den Traum Gottes zu ihrem eigenen zu machen. Der heilige Josefmaria sprach immer wieder über die Tiefe, die eine solche Vereinigung des Göttlichen mit dem Menschlichen bedeutet: „Macht es euch zur Gewohnheit, den innigen Umgang Jesu mit seiner Mutter und seinem Vater, dem heiligen Patriarchen, zu suchen, denn dann werdet ihr haben, was wir nach dem Wunsch Gottes haben sollen: ein beschauliches Leben. Denn wir werden zugleich auf der Erde und im Himmel sein und mit den menschlichen Dingen auf göttliche Weise umgehen.3


SEIT DER Geburt Jesu in Bethlehem, ist der heilige Patriarch gewiss nicht müde geworden, das Antlitz des Kind gewordenen Gottes zu betrachten. Man kann sich leicht vorstellen, mit welcher Liebe er das Kind in jener ersten Nacht umfing, die Jesus auf Erden verbrachte. Im Laufe der Jahre erinnerte er sich wohl immer wieder an jenen ersten göttlichen Traum, der seinem Dasein ein ungeahntes Panorama eröffnet hatte: Maria und das Kind in sein Haus aufnehmen zu dürfen. Josefs Gebet sollte im Laufe der Zeit, im Rhythmus des Lebens Jesu und der alltäglichen Ereignisse aber noch weiter Gestalt annehmen. „Für den heiligen Josef war das Leben Jesu die ständige Entdeckung seiner eigenen Berufung4, schreibt der heilige Josefmaria. Die Ruhe in Bethlehem wird bald durch einen neuen Traum unterbrochen: Gott fordert ihn auf, mit seiner Familie ins Exil nach Ägypten zu gehen. Und eben weil sein Gebet wie Feuer ist, das ihn bewegt, bricht er sofort auf. Vom heiligen Josef lernen wir, dass jede wahre Erneuerung, jeder neue Impuls, aus der Betrachtung Jesu entsteht, die zum Gespräch mit Gott führt.

Das Leben der Heiligen Familie nach ihrer Rückkehr nach Nazaret beschreibt Benedikt XVI. wie folgt: „Der Sohn Gottes ist den Menschen verborgen, und nur Maria und Josef hüten sein Geheimnis und leben es tagtäglich. Das fleischgewordene Wort wächst als Mensch im Schatten seiner Eltern heran, und zugleich bleiben diese in Christus, in seinem Geheimnis, verborgen und leben ihre Berufung.5 In den Augen der Dorfbewohner geschah nichts Außergewöhnliches in diesem heiligen Haus, das für uns ein Lehrstuhl des Gebets im Alltag ist. Auch wir können in dem verborgenen Leben Christi leben. Das Leben von Josef und Maria entwickelt sich in einem ständigen Dialog mit Jesus: Sie leben, um den Herrn wachsen zu sehen, doch sind sie es, die in den Augen Gottes wachsen. Sie kümmern sich um Jesus in einem bescheidenen Haus in Nazaret, während Gott sie im großen Haus seiner Liebe beschützt.

Euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott (Kol 3,3), sagt die Heilige Schrift. Unser Gebetsleben führt uns dazu, wie der heilige Josef immer beim Herrn Zuflucht zu suchen. Der heilige Patriarch konnte die Demütigung der Krippe, die Härte des Exils und die scheinbare Monotonie des Alltagslebens ertragen, weil er es verstand, sein Herz auf Jesus zu richten: der Ort, an dem jede Situation annehmbar wird. Nie sah er seine Berufung als eine Reihe von Dingen, die es zu erfüllen galt, sondern als das unverdiente Geschenk, jederzeit mit dem Sohn Gottes zusammen leben zu können.


DAS SCHWEIGEN des heiligen Josef zu den Eingebungen Gottes kann uns dazu dienen, zur Freiheit vorzudringen, mit der sich der Patriarch innerhalb der Pläne Gottes bewegte. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass die Einfachheit Josefs heißt, ein Leben ohne eigene Ideale zu leben oder allzu automatisch zu reagieren. Bei näherem Hinschauen erkennen wir jedoch, dass es sich vielmehr um ein von der Freiheit der Liebe erfülltes Leben handelt. Wenn es ein offener Dialog mit Gott ist, gibt uns das wahre Gebet die Möglichkeit, die Welt in gewisser Weise von seiner Position aus zu betrachten. Dann bekommt unser Leben – mit Worten des heiligen Josefmaria – eine neue, ungeahnte Dimension, so wie das des heiligen Josef, der „glaubt und liebt in der Hoffnung auf das große Werk, das Gott in der Welt beginnt und in das er auch ihn, den Zimmermann aus Galiläa, mit hineinnimmt: das Werk der Erlösung.“6

Die Logik der Liebe ist immer eine Logik der Freiheit“, schreibt Papst Franziskus, „und Josef war in der Lage, in außerordentlicher Freiheit zu lieben. Er hat sich nie selbst in den Mittelpunkt gestellt. Er verstand es, zur Seite zu treten und Maria und Jesus zur Mitte seines Lebens zu machen.“7 Das Gebet macht uns wirklich frei, weil es uns erlaubt, in die Logik der Selbsthingabe einzutreten, eine Logik, die uns leichter macht und uns erlaubt, jeder Sache das richtige Gewicht zu geben. Wenn wir in einen ständigen Dialog mit Gott treten, ist unser Leben nicht mehr zwangsläufig unseren Launen oder Müdigkeitserscheinungen unterworfen, auch wenn diese nicht aufhören zu existieren. Auch beunruhigt uns unsere Armseligkeit nicht allzu sehr, weil wir wissen, dass Gott uns zu Hilfe kommt, um uns zu heilen und sie in eine Quelle des Lebens zu verwandeln, wie es die verwundeten Hände und die durchbohrte Seite Christi waren.

Dieses Vertrauen trug Josef durch alle Schwierigkeiten. Als der jugendliche Jesus auf dem Rückweg von Jerusalem einmal verloren ging (vgl. Lk 2,45), suchte ihn Josef mit riesiger Angst. So viele innige Erinnerungen werden ihm nun wohl in einer ganz anderen Färbung durch den Kopf gegangen sein. Vielleicht vergoss er auch die eine oder andere Träne. Doch die drei Tage der Ungewissheit lang hatte er sicher nicht aufgehört, den Blick fest auf Jesus gerichtet zu halten (vgl. Hebr 12,2). Seine äußere Suche war wiederum ein Spiegelbild seiner ständigen inneren Suche. Die Antwort, die Jesus ihm gab, als er ihn schließlich im Tempel fand, verstand der heilige Patriarch nicht, doch lag sein Leben bereits so sehr in Gottes Hand, dass er sich auch damals von ihm leiten ließ. Hierin wurzelt die Größe der Persönlichkeit des heiligen Josef und das, worum wir ihn an seinem Festtag bitten: ganz auf Gott zu vertrauen. Und Gott enttäuscht uns nie, denn seine Träume für uns sind immer gut, mögen sie uns auch manchmal übersteigen.


1 Franziskus, Apostolisches Schreiben Patris corde, Einleitung.

2 Hl. Johannes Paul II., Redemptoris custos, Nr. 25.

3 Hl. Josefmaria, Notizen aus der mündlichen Predigt, 26.5.1974.

4 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 54.

5 Benedikt XVI., Ansprache in den Vatikanischen Gärten, 5.7.2010.

6 Hl. Josefmaria, Christus begegnen, Nr. 42.

7 Franziskus, Apostolisches Schreiben Patris corde, Nr. 7.