Ein Zuhause schaffen als gemeinsame Aufgabe, die der Arbeit Sinn gibt

Der Rhythmus des modernen Lebens stellt uns vor ein Dilemma: entweder Arbeit oder Kinder; entweder arbeitest du oder du kümmerst dich um das Zuhause; beides zugleich scheint unmöglich.

Wenn man den Plan Gottes für den Menschen und die Familie kennenlernen möchte, dann muss man zum Ursprung zurückgehen. „Ortega y Gasset hat an die Geschichte vom Polarforscher erinnert, der den Kompass auf Norden ausrichtet und mit dem Schlitten in diese Richtung fährt, um dann festzustellen, dass er sich südlich von seiner Ausgangsposition befindet. Er weiß nicht, dass er sich nicht auf festem Land, sondern auf einem großen Eisberg befindet, der geschwind in die Gegenrichtung driftet. Auch heute richten viele von uns voll guten Willens den Kompass nach Norden, ohne zu wissen, dass wir mit dem großen Eisberg der Ideologien mitschwimmen und nicht auf dem festen Grund der Wahrheit über die Familie stehen.“ 1

An der Wiege der Menschheit finden wir die nötigen Leitlinien, den Kompass, der immer nach Norden weist

Die erste Leitlinie finden wir in der Genesis, denn wir sind zum Lieben und Geliebtwerden geschaffen, und das wird im „Ihr werdet ein Fleisch sein“ 2von Mann und Frau verwirklicht, in der bereichernden und fruchtbaren Hingabe der eigenen Person, die sich neuem Leben öffnet. Die Ehe als gegenseitige Hingabe, als Berufung zur Liebe ist die erste Leitlinie.

Die zweite kommt aus der ersten und konkretisiert sich im göttlichen Gebot: „Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch.“ 3 Hier erscheint der Zusammenhang von Familie („vermehrt euch“) und Arbeit („bevölkert die Erde, unterwerft sie euch“), die untrennbar miteinander verbunden sind zu einem einzigen Gebot. Das heißt, seit Gott den Menschen erschaffen hat, besteht Klarheit über die Verpflichtung zur Arbeit und auch über den tiefen Sinn der Arbeit: es geht nicht um bloße Selbstverwirklichung, um eine Laune oder einen Zeitvertreib, sondern darum, dass man die Erde umgestalten soll, um sie in ein Zuhause zu verwandeln. Vom Beginn der Menschheit an gehören Arbeit und Familie zusammen, und der Sinn der Arbeit besteht darin, dass sie der Familie dient. Sie ist eine Form der Hingabe, genau wie bei Adam und Eva, dem ersten Paar; eine Hingabe der eigenen Person, niemals eine Gabe für die eigene Person.

Verlust des Sinnes der Familie bedeutet Verlust des Sinnes der Arbeit

In den letzten eineinhalb Jahrhunderten ist jedoch zumindest in den höher entwickelten Ländern ein Bruch entstanden. Man hat den Eindruck, dass Familie und Arbeit, die anfangs untrennbar miteinander verbunden waren, jetzt nicht mehr miteinander vereinbar sind. Die Familie wird zum Hindernis für die Arbeit und umgekehrt. Für viele Frauen bedeutet zum Beispiel die Mutterschaft ein Handicap in Bezug auf die Arbeit. Wo ist dann das Gebot aus der Genesis geblieben? Die ursprüngliche Berufung, in dem einen Gebot zum Ausdruck gebracht, ist für viele zum Dilemma geworden: Entweder Arbeit oder Kinder; entweder arbeitet man, oder man betreut den Haushalt; beides gleichzeitig scheint unmöglich zu sein.

Es ist bezeichnend, dass dieser Gegensatz zeitlich mit der Krise der Familien zusammenfällt. Das könnte den Gedanken nahelegen, dass die eine Krise zur anderen geführt hat, da ihre Wurzeln zusammenhängen. Der Verlust des Sinnes der Familie würde dann den Verlust des Sinnes der Arbeit mit sich bringen. Und tatsächlich wird in nicht wenigen Fällen die Arbeit nicht als Dienst an der Familie, sondern als Selbstzweck verstanden, und es gibt entweder überhaupt kein Zuhause, oder nur ein zerstörtes und vernachlässigtes, ohne die Wärme einer Familie.

Als dieser Gegensatz entstand, wurde in vielen westlichen Ländern die Terminologie umgedreht: das Unternehmen stellt sich als Familie dar, die Familie wiederum gibt sich ein neues Image als Unternehmen mit Aufteilung der Funktionen und Zuteilung von Quoten, wie Arlie Hochschild in einer Studie mit dem vielsagenden Titel „Wenn die Firma zum Zuhause wird und das Zuhause zum Arbeitsplatz“ 4 bemerkte.

Es wäre jedoch ein Irrtum zu meinen, dass man zu Hause durch gerechte Quoten oder eine Art Arbeitsteilung ein gutes Klima erzielt. Man erreicht es vielmehr, indem man den wirklichen Sinn der Familie und zugleich den wirklichen Sinn der Arbeit zurückbringt. Die tatsächliche Vereinbarkeit hängt nicht nur von der staatlichen Gesetzgebung ab, sondern im Tiefsten von der Übereinstimmung zwischen Mann und Frau. Denn sie sind ja die kunstfertigen Erbauer des Zuhauses. Sie haben die Freiheit, auch außer Haus zu arbeiten und Kinder zu haben und die Arbeit im Haushalt wieder zurückzuerobern.

Das würde das vorhin erwähnte Dilemma lösen

Man kann von Seiten des Staates versuchen, durch Gesetzesänderungen diese Wahl im Dienste der Familie zu erleichtern und diesbezüglich eine entsprechende Unternehmenskultur zu erreichen. Zuerst allerdings müssen die Familien selbst, die Ehepaare, wieder den wahren Sinn der Arbeit zurückerobern und sie als Selbsthingabe und als Dienst am Partner und an den Kindern betrachten. Manche Mütter werden dann weiterhin eine berufliche Tätigkeit außer Haus bevorzugen, während sich andere ganz dem Haushalt widmen wollen. Beides ist gleichermaßen legitim, wenn man sich dessen bewusst ist, dass die Arbeit einen Dienst darstellt und keinen Selbstzweck.

Das Zuhause als erster Schritt zur Überwindung der Krise der Gesellschaft

Auf dieser Basis wird das Zuhause zum Ort, an dem sich die beiden Wirklichkeiten von Familie und Arbeit begegnen. Das Zuhause wird zum Umfeld der Selbsthingabe und der Liebe der Eheleute, in dem es echte Versöhnung gibt, und das ist auch eine gemeinsame Aufgabe aller Familienmitglieder. Das Heim ist nicht nur ein Zufluchtsort, an dem man ausruhen kann, um dann wieder zur Arbeit zurückzukehren, sondern der Ort aufopfernder Liebe, eine Schule der Tugenden und die beste Antwort auf das Gebot: „Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch.“ 5

Man kann die Welt verändern, ohne die eigenen vier Wände zu verlassen: „Ich wage zu behaupten, dass die traurige Krise, von der die heutige Gesellschaft heimgesucht wird, ihre Wurzeln zu einem guten Teil in der Vernachlässigung des häuslichen Mittelpunktes hat.“ 6

Der häusliche Mittelpunkt ist die Liebe der Ehegatten, durch die das Leben weitergegeben wird und die sich in den Kindern widerspiegelt. Ihre Bezugspunkte sind das eheliche Lager und der gemeinsame Tisch, der Schauplatz des Zusammenlebens von Eltern und Kindern. Dort spricht man miteinander, dort dankt man Gott. Es ist bezeichnend, dass gerade dort die härtesten Angriffe auf die Familie ansetzen: Im ersten Fall durch den Hedonismus und die Gender-Ideologie, die beim Geschlechtsakt den Aspekt der liebenden Vereinigung der Eheleute von der Fortpflanzung trennen wollen. Im zweiten Fall durch den übermäßigen Konsum von Fernsehen, Internet und anderen Technologien, der die jungen Leute gegeneinander abschottet, sodass sie sich anderen nicht mehr öffnen.

Es ist kein Zufall, dass einige totalitäre Regime als erste Maßnahme die Herstellung von hohen Tischen verboten und stattdessen die Verwendung von niedrigen kleineren Tischchen förderten. Damit wurde es schwieriger, dass sich die Familie beim Mittag- oder Abendessen versammelte. Heute wirkt sich der übermäßige Fernsehkonsum im Verein mit anderen Technologien und Faktoren, wie der Arbeit und den langen Arbeitswegen, in ähnlicher Weise aus.

Die Bedeutung des gemeinsamen Tisches: Danksagung, Gespräch, Zusammenleben

Die Rückkehr zum gemeinsamen Tisch ist eine Möglichkeit, wie man die häusliche Atmosphäre wieder zurückgewinnen kann. Bei Tisch treffen sich die zwei Elemente, die im doppelten Gebot der Genesis angesprochen werden. „Seid fruchtbar und vermehrt euch“ meint die Familie, die Eltern und Kinder, und „Bevölkert die Erde, unterwerft sie euch“ spricht von den Früchten der Arbeit. Der gemeinsame Tisch bietet die Gelegenheit, dem Schöpfer für das Geschenk des Lebens und für die Gaben der Erde zu danken. Das Gespräch mit Gott wird dabei auch mit Hilfe der Materie der Nahrungsmittel geführt, die wir von seiner Güte empfangen. Gleichzeitig trägt die Tischgemeinschaft in entscheidender Weise zur Erziehung und zur Kommunikation bei. Die Kinder erhalten ihre Nahrung nicht nur durch das Essen, sondern auch durch Worte und Gespräche, durch Diskussionen über Ideen, ja sogar durch Reibereien und Auseinandersetzungen, die zur Stärkung ihres Charakters beitragen.

Daher ist es so wichtig, der gemeinsamen Mahlzeit täglich eine gewisse Zeit zu widmen. Wenn man nicht gemeinsam frühstücken oder zu Mittag essen kann, dann sollte man wenigstens das Abendessen für diese Zeit des Gesprächs und des Beisammenseins reservieren.

Diese Zeit sollte man rechtzeitig vorbereiten und sich darauf freuen. Auch Verzicht und Opfer sind dafür nötig. Am Beginn steht das Tischgebet. 7 Das Essen wird von Gesprächen begleitet. Der gemeinsame Tisch stellt für die Eltern eine einmalige Gelegenheit dar, um die Kinder nicht durch Reden, sondern durch kleine Gesten und scheinbar unwichtige Kleinigkeiten zu erziehen. So lernen die Geschwister Verständnis füreinander, gegenseitige Unterstützung und Verzicht. Diese gemeinsam verbrachten Zeiten formen ihre Identität und werden zu unauslöschlichen und prägenden Erinnerungen.

Das ist eine wunderschöne Aufgabe, an der alle beteiligt sind, denn mehr noch als durch das Essen schöpft die Familie Nahrung und Unterstützung aus Gebet, Danksagung und Gespräch.

Wenn man auf eine Kultur der Familie setzen möchte, dann muss man sich von trügerischen Ideologien verabschieden und wieder den echten und ursprünglichen Sinn des doppelten Gebotes der Genesis zurückgewinnen. Und das ist auch im bescheidenen Umfeld der eigenen vier Wände möglich. Chesterton schrieb, das Heim der Familie sei paradoxerweise „innen viel größer, als es von außen gesehen scheint“. Dazu muss man das Gespräch miteinander, die Liebe der Eheleute und die Teilnahme am gemeinsamen Tisch der Familie wieder zurückerobern. Und man sollte immer auch einen Teller zu viel decken…, für den Fall, dass Gott heute mit uns zu Abend essen möchte.

Teresa Díez-Antoñanzas González und Alfonso Basallo Fuentes


1 Granados, J., Ninguna familia es una isla (Keine Familie ist eine Insel), Burgos 2013.

2Gen 2, 24.

3Gen 1, 28.

4 Hochschild, A. R., „ When work becomes home, and home becomes work” , California Management Review (1997), S. 79-97.

5Gen 9, 7.

6 Echevarría, J., Pastoralbrief, 1.6.2015.

7 Vgl. Papst Franziskus, Enzyklika Laudato si’ , Nr. 227.