Für jedes Publikum

Yolanda Cagigas ist die Leiterin des Generalarchivs der Universität von Navarra. Seit 2009 vereinbart sie diesen Posten mit ihrer zweiten beruflichen Tätigkeit als Historikerin, der sie sich in ihrer “Freizeit” widmet. Sie ist Mitarbeiterin des Instituts Heiliger Josefmaria Escrivá, für das sie bereits mehrere Forschungsaufträge übernommen hat. In diesem Interview spricht sie von ihrer derzeitigen Arbeit über die akademischen Ansprachen von Josemarái Escrivá, deren historisch-kritische Ausgabe ihr anvertra

Yolanda Cagigas Ocejo, gebürtig aus Santander, lebt seit zehn Jahren in Pamplona, wo sie Leiterin des Hauptarchivs der Universität von Navarra ist. Seit 2009 arbeitet sie zudem für das Historische Institut Heiliger Josefmaria. Hier berichtet Yolanda über ihre neueste Publikation und erzählt, wie es ihr gelang, sich die Person des hl. Josefmaria anhand seiner Schriften zu erschließen.

Yolanda Cagigas Ocejo, Leiterin des Generalarchivs der Universität von Navarra, Historikerin und Mitarbeiterin des Historischen Instituts Heiliger Josefmaria Escrivá

Wie entstand diese Aufgabe?

Mein erster Beitrag, der in “Studia et Documenta“ (der Fachzeitschrift des Historischen Instituts) veröffentlicht wurde, war eine kritische Ausgabe des Briefwechsels den der hl. Josefmaria während des spanischen Bürgerkriegs mit Lola Fisac unterhielt (ein entsprechender Artikel befindet sich in : www.isje.org). Infolge dieser Korrespondenz, die unter ganz besonderen Umständen entstanden war, bat Lola Fisac bald danach um die Aufnahme in das Opus Dei. Sie war die erste Frau (nach Maria Ignacia García Escobar), in der sich die Berufung zum Opus Dei festigte.

Bald darauf habe ich einen weiteren Artikel für Studia et Documenta fertigstellen können, der bisher noch nicht veröffentlicht wurde. Er befasst sich mit der Verleihung der Doktortitel honoris causa der Universität von Navarra während der Zeit, in der der hl. Josefmaria ihr Großkanzler war. Im Rahmen dieser Tätigkeit hielt er 4 von seinen 10 Ansprachen.

Vor einiger Zeit eröffnete mir der Leiter des Historischen Instituts die Möglichkeit einer kritischen Durchsicht dieser Ansprachen. Daran arbeite ich zur Zeit.

Worum geht es in den verbleibenden 6 Ansprachen?

Der Gründer des Opus Dei bei seiner Ansprache 1967 vor dem Gebäude der ehemaligen Universitätsbibliothek.

Es handelt sich um insgesamt 10 Ansprachen, die ich jetzt kurz chronologisch auflisten will: die Verleihung des Ehrendoktortitels durch die Universität Saragossa ( 21. Oktober 1960); die Errichtung des Studium Generale innerhalb der Universität von Navarra (25. Oktober 1960); die Verleihung des Titels des Ehrenbürgers der Stadt Pamplona seitens des Stadtrats von Pamplona (25. Oktober 1960); die Verleihung der Ehrendoktorwürde seitens der Universität von Pamplona an Juan Cabrera und Felipe y Miguel Sancho Izquierdo ( 28. November 1964); die Einweihung des „Centro ELIS“ in Rom( 21. November 1965); die Verleihung der Ehrenbürgerschaft seitens der Stadt Barcelona ( 7. Oktober 1966); die Verleihung der Ehrendoktorwürde an die Professoren Guilherme Braga da Cruz, Willy Onclin, Ralph M. Hower, Otto B. Roegele, Jean Roche und Carlos Jiménez Díaz in der Universität Pamplona ( 7. Oktober 1967); die Verleihung der Ehrendoktorwürde an die Professoren Paul Ourliac, Juan de Contreras, Lopez de Ayala und Erich Letterer durch die Universität Pamplona (7. Oktober 1972); die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Franz Hengsbach und Jérôme Lejeune durch die Universität Pamplona (9. Mai 1974) sowie die Verleihung der „goldenen Medaille“ durch die Stadt Barbastro ( 25. Mai 1975).

Eigentlich erstaunlich, dass es nur 10 waren...

Bei seiner Ansprache anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde 1967 in der Universität von Navarra. Zu seiner Linken der Vizerektor Ismael Sánchez Bella.

Auch mich machte die geringe Zahl der Ansprachen stutzig. Wahrscheinlich liegt es unter anderem daran, dass der hl. Josefmaria nicht sehr geneigt war, in der Öffentlichkeit zu reden. Das entnahm ich zumindest dem folgenden Dokument, als ich es zum ersten Mal las.

Wie schon gesagt, fand die erste Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität von Navarra am 28. Oktober 1964 statt. Monate vorher erreichte ihn in Rom schon ein detailliertes Programm bezüglich des Ablaufs. Bei dem Programmpunkt ”Empfang des Großkanzlers der Universität sowie deren Leitungsorganen im Rathaus“, notierte der hl. Josefmaria daneben „ohne Ansprache“ – was heißen sollte, dass er, wenn möglich, darauf verzichten würde.

Für viele sind sicher die Ansprachen im akademischen Raum die am wenigsten bekannten Schriften des hl. Josefmaria. Es stellt sich die Frage, ob sie wirklich an ein breites Publikum gerichtet sind.

Meiner Meinung nach sind alle Schriften des hl. Josefmaria grundsätzlich an jedes Publikum gerichtet, nicht nur an die Gläubigen der Prälatur. Das ist insoweit logisch, als das Opus Dei allen Christen offen steht. Das ist natürlich noch evidenter bei den für die Öffentlichkeit bestimmten Ansprachen.

Obwohl es naturgemäß schwieriger ist, an sie heranzukommen, so dass sie weniger als andere Schriften gelesen werden. Aber sie sind für alle einzusehen. Als sie gehalten wurden, wurden sie von der Presse veröffentlicht und lassen sich deshalb in den Zeitungsarchiven finden. Augenblicklich sind 8 Ansprachen bereits im Internet zugänglich.:

Yolanda, Sie haben den Gründer des Opus nicht persönlich, wohl aber durch seine Schriften kennengelernt. Welcher besondere Charakterzug ist Ihnen dabei aufgefallen? Welchen empfinden sie als besonders hervorstechend?

Der hl. Josefmaria 1964 im Gespräch mit Studenten der Universität von Navarra

Es ist wahr, dass ich ihn nicht persönlich kennen lernen konnte. Ich bin aber davon überzeugt, dass man jemanden – und natürlich noch mehr seine Botschaft, die ja das Wichtigste ist – anhand seiner Schriften und Bücher sehr gut kennen lernen kann. Meine Nachforschungen aufgrund des letzten Artikels für „Studia et Documenta“ sind dafür eigentlich ein guter Beweis. Ich bin dabei einigen Aspekten seines Charakters auf die Spur gekommen, die ich besonders bemerkenswert fand.

Meiner Meinung nach sind alle Schriften des hl. Josefmaria grundsätzlich an jedes Publikum gerichtet, nicht nur an die Gläubigen der Prälatur. Das ist insoweit logisch, als das Opus Dei allen Christen offen steht. Das ist natürlich noch evidenter bei den für die Öffentlichkeit bestimmten Ansprachen.

Am 13. November 1964 schrieb Amadeo de Fuenmayor einen Brief an den hl. Josefmaria in dem er ihm unter anderem mitteilte: „Aufgrund der Nachrichten, die wir von überall her bekommen, erwarten wir eine ziemliche Menschenmenge in Pamplona“, wobei er die letzten Worte besonders unterstrich. Josefmaria notierte mit Rotstift an den Rand. „Möge Gott uns Geduld geben. Ich habe kein besonderes Interesse daran!“ Dieser spontane Kommentar zeigt einen Zug seines Charakters: Wenn er konnte, vermied er Massenveranstaltungen. Trotzdem trat er besonders während des Jahres 1967 oft bei großen Veranstaltungen auf.

Für die Verleihung der Ehrendoktorwürde im Jahr 1967 überlegte man, welche Robe wohl die passendste für den Auftritt sei, da er ja als Großkanzler der Universität Navarra fungieren würde.

Zunächst stand zur Debatte, dass er die beiden Fakultätsfarben entsprechend seiner beiden Doktorate in Theologie und Jura tragen sollte. Zwei Professoren der Universität waren anderer Meinung und richteten einen Brief an ihn. Sie erklärten darin, dass es dem Rektor zustehe, Robe und Birett in Schwarz zu tragen, da er ja seit Übernahme des Amtes als Rektor in dieser Funktion nicht mehr zu einer konkreten Fakultät gehöre, vielmehr nun allen Fakultäten vorstehe. Daher sollte er nicht die Farben der Fakultäten tragen, in denen er den Doktortitel erworben hatte, sondern nur die Kleidung eines Geistlichen und die Ärmelaufschläge seiner Soutane in Rosa. Seine Robe sollte aus schwarzer Seide, sein Birett mit goldenen Fransen verziert sein. Und er sollte eine seinem Amt entsprechende Kette tragen.

Als der hl. Josefmaria diese Auseinandersetzungen über seine akademische Robe las, schrieb er in Rot daneben: „Sie sollen machen, was sie wollen. Mich lässt das kalt“, was einen weiteren charakteristischen Zug seiner Persönlichkeit verdeutlicht.

Beim Einzug vor der Verleihung der Ehrendoktorwürde 1967: Der hl. Josefmaria im Gespräch mit Prof. Alvaro D’Ors

Und was würden Sie zu seinem Glauben sagen?

Was den Glauben des hl. Josefmaria betrifft, erinnere ich mich sehr gut an das, was ich dachte, als ich den Briefwechsel zwischen ihm und Lola Fisac sichtete. Es war für mich nahezu unmöglich, mir vorzustellen, wie man mitten im Bürgerkrieg eine apostolische Aufgabe verwirklichen konnte, zumal dieser in Zusammenhang mit einer harten Kirchenverfolgung stand. Es wäre das Naheliegendste für den Gründer gewesen, mit der apostolischen Arbeit bis zur Beendigung des Krieges zu warten. Trotz der ungünstigen Gegebenheiten verwirklichte er schon damals eine ausgedehnte apostolische Arbeit. Er forderte Lola auf, sich Gedanken über eine mögliche Zugehörigkeit zum Opus Dei zu machen. Und das war kein Einzelfall. Schon kurz nach Verlassen des Konsulats von Honduras organisierte er verschiedene Besinnungstage, die er selber hielt. Ungefähr in diese Zeit fällt auch die Bitte von José Maria Albareda um Aufnahme in das Werk.

Diese Verhaltensweisen sind ein Beweis für die Entschiedenheit, mit der der hl. Josefmaria den Willen Gottes ausführte, und für sein Vertrauen auf das Wirken der Gnade. Sie entsprangen aus seiner Nähe zu Gott im Gebet und in der Eucharistie und in seiner persönlichen Opferbereitschaft. In der mir vorliegenden Dokumentation wird deutlich, dass er trotz aller Leiden und Ängste, die durch den Krieg verursacht waren – Ungewissheit, Ängste, Hunger, Sorgen usw. – nicht auf zusätzliche persönliche Abtötungen verzichtete. Ein deutlicher Beweis dafür ist, dass er Zorzano um das Besorgen von (bitterer) Aloe bat. Das alles erhält noch mehr Gewicht, wenn man bedenkt, dass der hl. Josefmaria gerade in diesen Augenblicken schwere innere Prüfungen durchmachte.

Der hl. Josefmaria neben Alvaro del Portillo beim Einzug zur Feier der Verleihung der Ehrendoktorwürde 1974.

Wenn man zudem die besonderen Umstände der kriegerischen Auseinandersetzung bedenkt, ist es besonderes erstaunlich, dass es keinerlei wertende Kommentare seinerseits zu den Aktionen der einen oder anderen Seite gibt. Es wird kaum möglich sein, extremere Umstände zu finden, in denen die Nächstenliebe und der Respekt vor Andersdenkenden zu leben war.

*Yolanda Cagigas hat ihr Studium an unterschiedlichen Universitäten abgelegt: In Valladolid studierte sie Geschichte der Neuzeit, mit besonderem Akzent auf der Aktualität; in Sevilla machte sie einen Master als Archivarin, und in Navarra das Doktorat. Sie ist Präsidentin der Vereinigung der Archivare der spanischen Universitäten und Mitglied Leitungskomites der Architectural Records del International Council on Archives ICA-SAR). Neben verschiedenen Artikeln in Fachzeitschriften der Archivare, hat sie auch ihre Doktorarbeit veröffentlicht: „Die Zeitschrift Vida Nueva (1967-1976) – Ein Projekt der Erneuerung in Krisenzeiten“ (Universität Pamplona, 2007).