Betrachtungstext: 28. Woche im Jahreskreis – Freitag

Die Wahrheit mit Werken bezeugen – Aufrichtigkeit in der geistlichen Begleitung – Die Fundamente des geistlichen Lebens

IN EINER dieser Predigten, bei denen sich tausende Menschen um Jesus drängten, mahnte der Herr seine Jünger: Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, das heißt vor der Heuchelei! (Lk 12,1). Wenn Jesus die Pharisäer einmal mit getünchten Gräbern (Mt 23,27) verglich, dann um zu sagen, dass sie von außen prächtig erschienen, innen aber nichts als den Tod enthielten. Sie versteckten ihr wahres Wesen hinter einem vornehmen Gehabe und ihre Absichten hinter dialektischen Wortklaubereien. Sie waren mehr darauf bedacht, auf ihre Glaubensbrüder Eindruck zu machen als ihnen zu dienen. Doch ihre Täuschungen und Machenschaften waren Holzwege, die ihnen nichts brachten. Der Meister weist seine Jünger darauf hin, dass schließlich alles ans Licht kommen wird: Nichts ist verhüllt, was nicht enthüllt wird, und nichts ist verborgen, was nicht bekannt wird. Deshalb wird man alles, was ihr im Dunkeln redet, im Licht hören, und was ihr einander hinter verschlossenen Türen ins Ohr flüstert, das wird man auf den Dächern verkünden (Lk 12,2-3).

Jesus, der sich selbst als den Weg und die Wahrheit und das Leben (Joh 14,6) bezeichnet, weist uns den wahren Pfad zum Reich Gottes: Er besteht darin, die Wahrheit zu umfangen. Und wenn wir die Wahrheit suchen, finden wir den Glauben und die Liebe, denn letztlich ist die Wahrheit eine Person: Jesus Christus.

Wir geben Zeugnis von der Wahrheit, die Jesus verleiblicht, wenn wir als Kinder Gottes leben und unseren Mitmenschen seine Liebe zukommen lassen. Fragen wir uns mit Papst Franziskus: „Welche Wahrheit bezeugen unsere Werke, unsere Worte, unsere Entscheidungen? (...) Wir Christen sind keine außergewöhnlichen Männer und Frauen, aber wir sind Kinder des himmlischen Vaters, der gut ist und uns nicht enttäuscht und der die Liebe zu unseren Brüdern und Schwestern in unser Herz legt. Diese Wahrheit wird nicht so sehr mit Worten bezeugt, sondern ist eine Daseinsform, eine Lebensweise und wird in jeder einzelnen Tat erkannt.“1


WENN der heilige Josefmaria nach der ihm liebsten menschlichen Tugend gefragt wurde, war seine Antwort immer dieselbe: die Aufrichtigkeit. Diese Tugend stellte er ins Zentrum der geistlichen Entwicklung eines Christen, der seinem Meister in der Welt nachfolgen will. Seine Schriften sind reich an Hinweisen darauf. So schreibt er zum Beispiel: „Du hast mich um einen Rat gebeten, wie du in deinen täglichen Kämpfen bestehen kannst. Und ich antwortete dir: Wenn du dein Herz öffnest, bring zuerst das zur Sprache, wovon du nicht möchtest, dass es bekannt wird. Auf diese Weise wird der Teufel jedes Mal besiegt. – Öffne deine Seele sperrangelweit, sei klar und einfach, damit die Sonne der Liebe Gottes bis in den letzten Winkel eintreten kann.“2

Im Evangelium begegnen wir zahlreichen Menschen, die neue Hoffnung und neuen Schwung für ihr Leben fanden, nachdem sie Jesus ihre Ängste und Schwächen anvertraut hatten. In der geistlichen Begleitung haben wir einen Bruder an unserer Seite, der uns hilft, uns selbst besser zu verstehen, und der versucht, das, was uns widerfährt, zu erhellen, damit wir entdecken können, was der Herr uns damit sagen will.

In der geistlichen Begleitung bedeutet Aufrichtigkeit nicht nur darüber zu sprechen, was schief gelaufen ist. Die Öffnung der Seele betrifft auch die Offenbarung unserer tiefsten Gefühle und Wünsche. Dazu ist es zunächst notwendig, ehrlich zu sich selbst zu sein. Die Entdeckung der inneren Dimension jener Wirklichkeiten, die uns glücklich oder traurig machen, schenkt uns wertvolle Erkenntnisse, da sie uns zeigt, wo unser Herz sich befindet. Und wie Papst Franziskus erklärt, erfordert das „die Fähigkeit, innezuhalten, den ,inneren Autopiloten abschalten‘, um ein Bewusstsein zu erlangen von unseren Handlungen, den Empfindungen, die in uns wohnen, und den wiederkehrenden Gedanken, die uns oft unbemerkt beeinflussen.“3


DIE AUFRICHTIGKEIT des Lebens verträgt sich gut mit Fehlern und Unzulänglichkeiten, denn sie führt uns dazu, diese nicht zu verbergen, sondern uns zu bemühen, sie zu überwinden. Diese Einfachheit hatte für den heiligen Josefmaria tiefe Wurzeln im Evangelium: „Sieh, die Apostel waren, bei all ihren offenkundigen und unleugbaren Schwächen, aufrichtig, schlicht …, durchsichtig. Auch du hast offenkundige und unleugbare Schwächen. – Möge dir nicht die Einfachheit fehlen.“4

Der Gründer des Opus Dei widmete einen seiner Briefe der Demut im geistlichen Leben. Darin ermutigte er seine Kinder, zu akzeptieren, dass sie auf tönernen Füßen stehen, jedoch keine Angst vor den Schwächen haben sollen, die sie an sich selbst und anderen erleben könnten: „Machen wir uns nichts vor: Wir werden Schwächen haben. Und noch im Alter werden wir dieselben schlechten Neigungen haben wie mit zwanzig Jahren. Und der asketische Kampf wird gleichermaßen notwendig sein, und wir werden den Herrn um Demut bitten müssen. Es ist ein ständiger Kampf. Militia est vita hominis super terram. Und Friede gibt es nur im Kampf, der Friede ist die Folge des Sieges!“5

Bezüglich des Fundaments, auf das wir unseren Kampf um die Heiligkeit gründen können, erklärte er folgendes: „Für uns ist das der Fels: Frömmigkeit, Gotteskindschaft, uns den Händen Gottes überlassen, Aufrichtigkeit und den Kopf dort haben, wo sich ständig die Realität des gewöhnlichen Lebens abspielt: Ich will dich lieben, Herr, meine Stärke, Herr, du mein Fels und meine Burg und mein Retter (Ps 18,2-3).“6 Wenn wir uns als Kinder wissen, wissen wir auch, dass Gott immer bei uns ist und stets auf unsere Bedürfnisse achtet. Und neben ihm steht unsere Mutter, zu der wir um Hilfe rufen, um in der Sicherheit zu leben, geliebte Kinder Gottes zu sein.


1 Franziskus, Audienz, 14.11.2018.

2 Hl. Josefmaria, Im Feuer der Schmiede, Nr. 126.

3 Franziskus, Audienz, 5.10.2022.

4 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 932.

5 Hl. Josefmaria, Brief 2, Nr. 10.

6 Ebd., Nr. 7.