Der Sinn der Verlobungszeit: sich kennen lernen, einander begegnen, sich gegenseitig achten

Einander kennen um zu lieben: die Verlobungszeit ist die Zeit in der zwei Personen einander entdecken. Die Kirche lädt dazu ein, diese Zeit intensiv zu nützen um einander zu respektieren und in der Liebe zu wachsen.

Für die Menschen, die Gott zur Ehe berufen hat, hängt das menschliche Glück zum Großteil von der Wahl des Partners ab, mit dem sie den Rest ihres Lebens in der Ehe teilen werden. Daraus folgt, dass ein gesundes Urteil über den dafür geeigneten Menschen sehr wichtig ist: „Die Kirche wünscht, dass Mann und Frau sich zunächst einmal verloben, damit sie einander besser kennen und lieben lernen, und sich so besser auf das Sakrament der Ehe vorbereiten können.“ [1]

Einander kennen lernen

Bei der Entscheidung gibt es zwei Aspekte: das Kennenlernen und das Risiko. Je besser man sich kennt, desto geringer ist das Risiko. Während der Verlobungszeit informiert man sich über den Partner, indem man sich gegenseitig kennen lernt. Dieser Artikel behandelt einige Dinge, die für das gegenseitige Kennenlernen und die Achtung der Verlobten vor einander hilfreich sein können.

Heutzutage wird in einigen Bereichen der Gesellschaft der Begriff „Liebe“ falsch verstanden. Das kann für eine Beziehung gefährlich werden, für die die Verpflichtung zur dauerhaften Hingabe bis zum Tod grundlegend ist. „Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen, und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“ [2] Wenn jemand beispielsweise mit einem Geschäftspartner Geschäfte machen wollte, der nicht weiß, was ein Unternehmen ist, dann wären beide zum Scheitern verurteilt. Bei der Verlobung ist es ähnlich. Es ist unerlässlich, dass beide die gleiche Auffassung von Liebe haben und dass sich dieses Konzept an der Wahrheit orientiert, d.h. an dem, was wirklich Liebe ist.

Die Grundlage der Verlobung und auch der Ehe ist heute für viele Paare die Sentimentalität. Manchmal herrschen auch gesellschaftliche Konventionen, die Dinge werden zu wenig klar gesehen; man gibt sich Selbsttäuschungen hin, die schließlich zu vollendeten Tatsachen werden. Mit der Zeit kann das in vielen Fällen zum Scheitern von Ehen führen. Die Verlobten müssen ihre Beziehung auf dem Felsen wahrer Liebe aufbauen und nicht auf dem Sand wechselnder Gefühle. [3]

Die Selbsterkenntnis ist für den Menschen ganz wesentlich, damit er zu unterscheiden lernt, wann eine Gefühlsäußerung die Grenze zur ungeordneten Begierde überschreitet und sich in Richtung Sentimentalität und Egoismus entwickelt. Dabei ist die Tugend der Mäßigung ganz wichtig, weil sie dem Menschen zur Herrschaft über sich selbst verhilft, indem sie „das sinnliche Begehren des Menschen mit Vernunft zu durchdringen sucht“. [4]

Man kann sich die Liebe wie einen Dreifuß mit den drei Beinen Gefühl, Verstand und Wille vorstellen. Liebe ist immer mit starken Gefühlen verbunden. Wenn ich meine, dass die Zuneigung zwar noch nicht genügend stark und tief ist, dass die Verlobung aber trotzdem weiter aufrecht erhalten werden soll, dann stellt sich die Frage, was ich unternehmen muss, um in der Liebe Fortschritte zu machen (Verstand), und dann muss ich das Beschlossene auch tatsächlich ausführen (Wille). Es ist logisch, dass man den Verstand durch eine gute Bildung in der Glaubenslehre nähren sollte, denn sonst wird er sich auf Argumente stützen, die nur zur Sentimentalität führen.

Einander begegnen

Man lernt die Menschen nur durch den Umgang miteinander wirklich kennen. Genau das sollte auch in der Verlobungszeit geschehen, in der man beim Umgang miteinander auch tiefere Gesprächsthemen anschneiden sollte, die die Wesensart des Partners betreffen: Worin bestehen seine Glaubensüberzeugungen, wofür begeistert er sich? Was schätzt er in Bezug auf die Familie? Wie denkt er über die Erziehung der Kinder? usw.

Charakterliche Schwierigkeiten sind die Folge der Schädigung der menschlichen Natur durch die Erbsünde. Wir müssen daher damit rechnen, dass wir alle manchmal Momente der Charakterschwäche haben. Man kann das vor allem mit Hilfe der Gnade Gottes abschwächen, indem man sich bemüht, den anderen das Leben angenehmer zu machen. Trotzdem sollte man sicher sein, dass man fähig sein wird, mit der persönlichen Wesensart des Partners gut auszukommen.

Das Gleiche gilt für die Überzeugungen und den Glauben des Partners. Man kann sie als Folge der Tradition, der erhaltenen Erziehung oder der eigenen Überlegung betrachten. Trotzdem hält man diese Dinge doch meistens für wichtig und verlässt sich nicht darauf, dass der andere mit der Zeit schon nachgeben wird. So etwas kann große Schwierigkeiten machen und wird oft zum Anlass für Ehekrisen. Es ist ganz wesentlich, dass man sich darüber im Klaren ist, dass die Ehe „der Bund zwischen einem Mann und einer Frau ist. (…)Die Medaille hat eine Vorder- und eine Rückseite. Auf der Kehrseite finden sich Schmerzen, Entbehrungen, Opfer und Selbstverleugnung.“ [5]

Es wäre naiv zu meinen, dass der andere seine Glaubensüberzeugungen schon ändern wird oder dass diese Änderung durch den Ehepartner bewirkt werden könne. Das schließt nicht aus, dass Menschen im Laufe der Zeit und mit Hilfe ihrer persönlichen Anstrengung imstande sind, ihre falschen Einstellungen zu begradigen und sich zu bessern. Trotzdem kann die folgende Regel nützlich sein: wenn die tiefsten Überzeugungen des Partners nicht mit meinen eigenen Vorstellungen übereinstimmen, wie der Vater oder die Mutter meiner Kinder zu sein hat, dann kann es vernünftiger sein, die Beziehung abzubrechen. Wenn man das nicht rechtzeitig tut, kann dieser Irrtum leicht in einer gescheiterten Ehe enden.

Man muss unterscheiden zwischen einer bloßen Meinung des Partners und dem, was zu seinem Glauben gehört oder wovon er fest überzeugt ist. Man könnte sagen, dass eine Meinung das ist, was er behauptet, ohne dass es eine wirkliche Überzeugung darstellt, auch wenn er dafür den Ausdruck „ich glaube“ benützt. Wenn jemand beispielsweise sagt „ich glaube, dass die Ehe für immer ist“, dann muss man herausbekommen, ob das eine bloße Meinung oder eine Glaubensüberzeugung ist. Bei Meinungen kann es Ausnahmen geben, bei Glaubensinhalten nicht. Eine Glaubenswahrheit bedeutet einen unveränderlichen Wert, eine Überzeugung, auf der man eine Ehe aufbauen kann.

Es kommt häufig vor, dass einer der Partner erst nach der Eheschließung entdeckt, dass man während der Verlobungszeit so lebenswichtige Fragen wie die Zahl der Kinder, ihre christliche Erziehung oder die Gestaltung des Sexuallebens nie ernsthaft besprochen hat.

Die christlich gelebte Verlobung ist eine Zeit, in der man einander kennen lernen und sich darüber klar werden sollte, ob man mit dem Partner in grundlegenden Belangen übereinstimmt. Es ist daher nicht ungewöhnlich, dass einer der Verlobten während dieser Zeit feststellt, dass der andere nicht der Richtige für das Abenteuer einer Ehe ist.

Die Persönlichkeit reift erst im Lauf der Zeit, daher muss man vom Partner eine seinem Alter entsprechende Reife verlangen. Trotzdem gibt es einige Merkmale, an denen man erkennen kann, dass ein Mensch möglicherweise noch nicht reif ist: wenn man Entscheidungen nach dem momentanen Gemütszustand trifft, wenn man große Schwierigkeiten damit hat, gegen den Strom zu schwimmen, wenn jemand unbeständig oder überempfindlich ist oder sich sklavisch der Meinung der anderen unterwirft, Frustrationen nur schlecht erträgt und dazu neigt, anderen die Schuld an seinen Misserfolgen zuzuschieben; wenn jemand eigenartig und für sein Alter unpassend reagiert, ungeduldig ist, sich keine konkreten Ziele setzt und ständig sofort belohnt werden will, nur schwer auf plötzlich auftretende Wünsche verzichten kann, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen möchte, usw.

Gegenseitige Achtung

Papst Franziskus sagt: „Die Familie entsteht aus diesem Projekt der Liebe, die wachsen will, wie ein Haus, das ein Ort der Zuneigung, der Hilfe, der Hoffnung, der Unterstützung sein will.“ [6]Innerhalb der Verlobung wird die gegenseitige Achtung zum Streben nach der vollkommenen Liebe gesteigert. Das bedeutet im Grunde, dass man den anderen als das behandelt, was er ist, nämlich als Person.

„Die Zeit der Verlobung ist grundlegend für die Formung des Paares; sie ist eine Zeit der Erwartung und der Vorbereitung, die in der Keuschheit der Gesten und der Worte zu leben ist. Dies gestattet es, in der Liebe, in der Fürsorge und in der Aufmerksamkeit dem anderen gegenüber zu reifen; es hilft, Selbstbeherrschung zu üben und die Achtung vor dem anderen zu entwickeln. All dies sind Kennzeichen der wahren Liebe, die an erster Stelle weder die eigene Befriedigung noch das eigene Wohlergehen sucht.“ [7]

Das bringt verschiedene Konsequenzen mit sich, deren Fundament in der Würde des Menschen liegt: Man darf vom Partner nicht etwas verlangen, was er oder sie nicht geben kann oder darf. Auch nicht durch Erpressung im Bereich des Gefühls, zum Beispiel durch Zärtlichkeiten oder Intimitäten, die zum Eheleben gehören und in der Verlobungszeit nicht angebracht sind.

Christliche Verlobte sollten miteinander wie Menschen umgehen, die sich lieben, aber noch nicht die Entscheidung getroffen haben, sich dem anderen in der Ehe ganz hinzugeben. Daher müssen sie miteinander vornehm, feinfühlig und respektvoll umgehen und sich der Tatsache bewusst sein, dass sie Mann und Frau sind. So werden sie schon die ersten Funken der Leidenschaft löschen, um den anderen nicht in eine Grenzsituation zu bringen.

Abschließend kann man sagen, dass eine gut gelebte Verlobungszeit, in der man sich gründlich kennen lernt und den anderen als Person respektiert, nach dem Rat von Papst Franziskus die beste Vorbereitung auf eine gute Ehe ist: „Das Zusammenleben ist eine Kunst, ein Weg, der Geduld erfordert, der aber auch schön und faszinierend ist. Seine Regeln kann man in drei Worten zusammenfassen: Bitte, Danke, und Entschuldigung.“ [8]

José María Contreras


1Hl. Josefmaria, Aufzeichnung eines Familientreffens , 31.10.1972.

2Mk 10,7-9.

3Vgl. Papst Franziskus, Ansprache, 14.2.2014.

4Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2341.

5Hl. Josefmaria, Aufzeichnung eines Familientreffens , 21.6.1970 .

6Papst Franziskus, Ansprache, 14.2.2014.

7Benedikt XVI., Botschaft anlässlich des 22. Weltjugendtages 2007.

8Papst Franziskus, Ansprache, 14.2.2014.