Stationen eines Geburtstages

Zum Fest Mariä Geburt am 8. September, eine Betrachtung von Josef Arquer

Die Muttergottes von Guadalupe

Die Betrachtung als Audio vom Verfasser gesprochen.

Geburtstagsfeiern lassen die verrinnende Zeit gleichsam zu etwas Festem, Kristallenem werden. Einige Stunden lang liegt ein Zauber über der Verschmelzung von Gestern und Heute. Der Augenblick, da der Gefeierte das Licht der Welt erblickte, wird virtuell präsent. Und selbst ein Greis ist an diesem Tag das „Geburtstagskind“. – Wieder Kind sein ...

Auch die Liturgie kennt Geburtstage. Sie richtet sich aber nicht nach dem leiblichen Geburtsdatum, sondern nach dem Tag, der das zeitliche Ende eines Menschen markiert. Dieser ist der Tag der Erfüllung und Vollendung, der dies natalis. Den Tag der Geburt feiert die Kirche nur von zwei Heiligen: der Gottesmutter Maria und Johannes dem Täufer. Beides aus besonderen Gründen: Johannes war im Schoße der Mutter geheiligt worden, Maria war vom Augenblick der Empfängnis an frei von der Erbsünde.

In der Perspektive des Glaubens ist die Geburt eines Menschen der Augenblick, in dem der Heilsplan Gottes in die Zeit eingreift. Da erfahren wir: Schon vor dem sichtbaren Anfang unseres Lebens, den wir Jahr für Jahr feiern, war eine Realität da, der Plan Gottes für uns. Er hat ja uns nach seinem ewigen Plan berufen, im Voraus erkannt und vorausbestimmt – und er will uns verherrlichen (vgl. Röm 8,29-30).

Wechselnde Nuancen

Die Kirche feiert das Fest Maria Geburt am 8. September. Nach Auskunft der Gelehrten geht dieses Datum auf das Weihefest der Annakirche in Jerusalem zurück. Eine lokale Tradition betrachtet diesen Ort als die Wohnung von Joachim und Anna. Dort soll der Geburtsort Mariens gewesen sein – entgegen anderen Überlieferungen, die Nazaret angeben. Und es heißt auch, dass von diesem Datum her der 8. Dezember als das Datum der Empfängnis Mariens festgelegt wurde.

Wir können uns die Freude der Eltern und Verwandten am Tag der Geburt vorstellen. Und mit dem feinen Gespür, das vom Beten mit dem Herzen kommt, können wir auch die wechselnden Nuancen mitempfinden, die im Laufe der Jahre bei den Geburtstagsfeiern Unserer Lieben Frau zu spüren sind. Joachim und Anna kennen das Geheimnis des Kindes nicht, auch die Kleine selbst kennt es noch nicht. Dann – etwa um das vierzehnte Lebensjahr des Mädchens – kommt Josef als Mitfeiernden dazu. Nach der Verkündigung des Engels wird Maria an ihren eigenen Geburtstag kaum mehr gedacht haben. Da steht das Kind in ihrem Schoß im Mittelpunkt – und die Verheißung, die es für alle Menschen trägt. Und dann die Geburt des Kindes Jesus und die Jahre seiner frühen Jugend, unbeschwert und geheimnisvoll für die Eltern. Denn „das ganze Leben Christi ist Mysterium“, und „im Leben Jesu ist alles – von den Windeln bei seiner Geburt bis zum Essig bei seinem Leiden und zum Grabtuch bei seiner Auferstehung – Zeichen seines innersten Geheimnisses“ (Katechismus der katholischen Kirche 515).

Und dann? Der Sohn nimmt von der Mutter Abschied und beginnt, eine neue Familie aufzubauen. Die Mutter bleibt im Hintergrund. Sie spürt immer deutlicher die Nähe der Passion. Das Wort des greisen Simeon vom Schwert, das ihr Herz durchstoßen werde, ist kein Rätsel mehr. Dann schließlich: Tod, Auferstehung, Himmelfahrt. Inzwischen haben die Jünger gelernt, die Mutter ihres Meisters selbst „Mutter“ zu nennen. Und nach Pfingsten erleben sie die Jünger der Jünger als Mutter. Und so erreicht die Marienverehrung uns. Außer der Liturgie entfaltet die Volksfrömmigkeit in tausend bewährten Ausdrucksweisen den Glaubensweg Mariens als sicheren Pfad zu Gott: in Bildern, Gebeten, Liedern, Andachten, Wallfahrten.

Betender Nachklang

Maria Geburt regt an, im Licht des Glaubens über unseren eigenen Geburtstag nachzudenken. So ahnen wir, dass hinter der sachlichen Angabe, die wir etwa in ein Formular eintragen müssen, ein unfassbares Geschenk steht. Ja, sogar ein Geheimnis: Es ist nicht so selbstverständlich, dass ich bin ...

Es ist die Gelegenheit zurückzublicken, in Reue für dies oder jenes, aber stets dankbar für die Gabe des Lebens. Eine gewisse Zeit steht noch vor uns. Wir sind noch unfertig, stehen noch nicht ganz im Licht. Von dem Diener Gottes Bischof Alvaro del Portillo ist der Ausruf bei solchen Anlässen überliefert: „Danke, vergib mir und hilf mir weiter!“

Es ist nicht so lange her, dass Papst Johannes Paul II. im Vorausblick auf unser neues Millenium über die Geburt Mariens schrieb: „Wenn es auch nicht möglich ist, einen genauen Zeitpunkt für das Datum der Geburt Marias festzustellen, so ist sich die Kirche doch stets bewusst, dass Maria vor Christus am Horizont der Heilsgeschichte erschienen ist. Es ist eine Tatsache, dass beim Herannahen der endgültigen ‚Fülle der Zeit‘, das heißt beim erlösenden Kommen des Immanuel, diejenige, die von Ewigkeit her dazu bestimmt war, seine Mutter zu sein, bereits auf der Erde lebte.“(Johannes Paul II., Enz. Redemptoris Mater, 25.3.1987, 14).

Die Kirche lobpreist Christus mit Worten der Heiligen Schrift als Sonne der Gerechtigkeit (Mal 4,2; Lk 1,78). Von da her hat sich die Anrufung seiner Mutter geformt: Stella matutina,ora pro nobis! – Du Morgenstern, bitte für uns!

Literaturhinweis

Josef Arquer hat zwei Bände mit Betrachtungen zu den Herren- und Heiligenfesten des Kirchenjahres veröffentlicht: Band 10 und 11 der Reihe „Meditationen für jeden Tag“, Herren- und Heiligenfeste I und II, Köln (Adamas), 446 bzw. 484 Seiten, Klappenbroschur, je 14.50 €, ISBN 3-925746-60-9 (Band 10) bzw. 3-925746-61-7 (Band 11)