Nach innen, nach oben, nach draußen

Zu Allerheiligen und Allerseelen im Jahr des Glaubens eine Betrachtung von Josef Arquer

Eine Tür ist außer ihrer offensichtlichen Funktion auch ein Symbol für einen inneren Raum, der dem Blick von außen unzugänglich ist, so zum Beispiel die Tür des Herzens... Papst Benedikt nannte 2011 das Apostolische Schreiben, mit dem er das Jahr des Glaubens ausrief, „Porta fidei“ – Tür des Glaubens. Man könne durch diese Tür gehen, „wenn das Wort Gottes verkündet wird und das Herz sich durch die verwandelnde Gnade formen lässt“. Es sei notwendig „den Weg des Glaubens wiederzuentdecken, um die Freude und die erneute Begeisterung der Begegnung mit Christus immer deutlichern zutage treten zu lassen“ (Porta fidei, Nr 2).

Drei Schritte

Seit dem vergangenen 11. Oktober sind wir in diesem Jahr des Glaubens. Diese Zeit soll „ein Moment der Gnade und des Einsatzes für eine immer vollständigere Umkehr zu Gott sein, um unseren Glauben an ihn zu stärken und ihn mit Freude dem Menschen unserer Zeit zu verkünden.“

Es sind einprägsame Worte, die zum betenden Nachdenken einladen. Der Papst zeigt drei Richtungen unserer Schritte: Nach innen, nach oben und nach draußen. Nach innen: ins eigene Ich eintreten, Gott anbeten und um Vergebung bitten, nach oben: den Glauben an ihn stärken, nach außen: in unserer Nähe gewinnendes Zeugnis ablegen.

Die drei Schritte, die der Papst andeutet, können in diesem Jahr des Glaubens helfen, die Rhythmen des Kirchenjahres herzlicher zu erleben. Jedes Jahr erfahren wir neben dem Rhythmus der Natur auch den Rhythmus, den das Kirchenjahr markiert. Dabei treffen immer wieder auf Christus, der uns zur Nachfolge einlädt. Wenn im Herbst die Blätter zur Erde fallen und die Natur in sich zurückkehrt, feiern wir Allerheiligen und gedenken am Tag danach unserer Verstorbenen. Auch diese Gedenktage können wir intensiver als sonst nach innen, nach oben und nach außen erfahren.

Der Tod – vor allem der Tod eines geliebten Menschen – enthüllt, wie brüchig und flüchtig alles Irdische ist. Unsere Toten sind ja nicht wie die fallenden Blätter, die auf der Erde zu Erde verfaulen und sonst nichts. Für uns Angehörige und Freunde der Verstorbenen öffnet sich nach innen, nach oben und nach außen eine Dimension, die über uns hinaus weist.

Der gläubige Christ erfährt – und der suchende Agnostiker ahnt, dass der Tod nicht das Ende ist. Der Getaufte weiß sich zugehörig zu einem Organismus, dessen Haupt der Leben spendende Christus ist. „Wir, die vielen, sind ein Leib in Christus, als einzelne aber sind wir Glieder, die zueinander gehören“ (Röm 12.5). Und von Jesus Christus her entsteht ein unsichtbares Netz aus Beten und Leiden, aus Tun und Erdulden: Jetzt, in diesem Augenblick, betet jemand für mich, bete ich für jemanden, sendet mir das Leiden eines anderen, vielleicht unbekannten Menschen Kraft zu. Der Schmerz eines Gliedes wird für den ganzen Leib fruchtbar: Der ganze Leib wirkt mit, dass die Wunde eines Gliedes heilt.

Auch unser Blick des Herzens weitet sich und schließt seinerseits all die Leidenden ins Gebet ein, auch die unbekannten, die unsere tätige Hilfe nicht erreichen kann, deren Not wir aber betend mittragen: Kranke, Einsame, Verlassene, Gefangene, Zweifelnde, vom Leben Überforderte, Kirchenfremde, Glaubensfeinde, Christenverfolger ...

Für die anderen

Zum nach innen, nach oben und nach außen Schauen kommt nun das Für-die-Anderen hinzu: Jeder, der an Christus glaubt, sich seiner Gnade öffnet und sie mit guten Werken fruchtbar werden lässt, gibt Zeugnis. Er macht sich den gemeinsamen Reichtum des Glaubens zu Eigen und bereichert seinerseits die ganze Kirche. So schreibt Augustinus über die Begebenheit in der Apostelgeschichte, als der sterbende Stephanus für seine Henker betet und Saulus daneben steht (7,58): „Wenn Stephanus nicht zu Gott gebetet hätte, hätte die Kirche keinen Paulus“. Augustinus verdankt seine eigene Bekehrung dem Gebet und den Tränen seiner Mutter Monika. So konnte er später auch erkennen, wie fruchtbar das Gebet des Stephanus war.

Wir beten für einander, für die Anliegen des Papstes und der ganzen Kirche, für das apostolische Wirken in den Missionsgebieten oder hier bei uns, für die Mächtigen und die Ohnmächtigen, für alle Schwestern und Brüder in jeglicher Not, für Menschen, die sich dem Glauben entfremdet haben, für alle, die Christus noch nicht kennen oder ihn gar hassen und Hass predigen.

Der Gedanke an diesen Austausch geistlicher Güter spornt an: Jemand braucht mein Gebet – ob er es weiß oder nicht. Jemand verlässt sich auf meine Treue. Jemand macht mich reich durch sein Opfer. Deshalb kann mich die betende Überlegung beflügeln: „Je mehr meine Treue wächst, desto mehr trage ich dazu bei, dass auch andere in der Treue wachsen. Wie wohltuend ist es zu spüren, dass wir uns gegenseitig stützen!“ (Josefmaria Escrivá, Spur des Sämanns, Nr. 948)

Wenn wir einmal vor Gottes Gericht stehen und auf unser Leben zurückblicken, werden wir dankbar erkennen, wer uns in der Not gehalten, wer uns Gott näher gebracht hat und wie unsere Gebete und Opfer für vertraute Menschen vielleicht doch wirksam geworden sind, obwohl wir sie im Leben für umsonst hielten.

Der Gedenktag Allerseelen dämmert herauf. Auch hier: Nach innen, nach oben und nach außen… Was wäre der Friedhofsbesuch unter fallenden Blättern ohne den Glauben an die Auferstehung? Allenfalls ein edler und melancholischer Versuch, die „Gewesenen zu ehren, die nicht mehr sind“. Doch im Licht des Glaubens wird der Besuch an ihren Gräbern zur Ehrung der Verstorbenen und zum Dank für alles, was sie uns zu ihren Lebzeiten gegeben haben.

Das Todessymbol der fallenden Blätter ist ein dichterisch einprägsames und doch missverständliches Bild. Denn auch die Samen fallen zur Erde – und sind doch Keime des Lebens: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“ (Joh 12,24). Das Bild des Vergehens wird zum Bild des Lebens – und der Vorgang in der Natur zur Chiffre eines Geheimnisses im Menschen.

Durch das Jahr des Glaubens will der Papst Licht in dieses Geheimnis bringen und damit „die Menschen aus der Wüste, in der sie sich oft befinden, hin zum Ort des Lebens … führen, zur Freundschaft mit Christus, der uns das Leben in Fülle schenkt“ (Ansprache 16.10.2011).

Foto: Herbstblatt © Petra Borka