Ja, das Opus Dei möchte Einfluss auf die Gesellschaft nehmen

Dieser Einfluss garantiert einen echten Pluralismus und reale Lösungen für die Probleme

Am 2. Oktober hat das Opus Dei seinen 80. Geburtstag gefeiert. Dieses Werk, das Gott dem heiligen Josefmaria 1928 anvertraute, blickt auf eine ereignisreiche Geschichte zurück. Seit den vierziger Jahren hat es sich in der ganzen Welt verbreitet, ab 1956 auch in der Schweiz. Seine Botschaft war überall die gleiche: Alle Christen, insbesondere die Laien, sind gerufen, ihren normalen Alltag und ihren Beruf zu heiligen und so die christliche Vollkommenheit zu erlangen. 

Weil dieses Werk sich rasch verbreitete und Menschen aller gesellschaftlichen Schichten anzuziehen vermochte, war bald von seinem „Einfluss“ die Rede. Manche gewannen den Eindruck, er sei riesig. Vor allem aber wurde er als politischer und wirtschaftlicher Einfluss verstanden. Noch heute fürchten nicht wenige ein „mächtiges“ oder „potentes“ Opus Dei, wobei heute allerdings immer mehr Beobachtern klar wird, dass diese Vorstellung mehr ein Produkt der Phantasie als der Wirklichkeit ist. 

Aber ist es denn nicht wahr, dass das Opus Dei Einfluss auf die Gesellschaft nehmen will? Aber gewiss doch! Sein erklärtes Ziel ist es ja gerade, die Heiligung der Welt von innen her zu fördern. Und wer dieses Ziel verfolgt, kann keinen in sich ehrenhaften Bereich der Gesellschaft ausschließen, weder die Arbeitswelt, noch das Familienleben, noch das soziale oder politische Engagement, noch den Freizeitbereich. Denn das ist „die Welt“, und genau da – und nicht nur in den Kirchen und Klöstern – ist jeder Christ gerufen, kohärent mit seinem Glauben zu sein. 

Das Opus Dei möchte also einen Einfluss auf die Gesellschaft ausüben. Das tun auch viele andere Akteure, und sie genießen allseitigen Respekt. Somit liegt das Problem nicht hier, sondern anderswo: Es beruht auf einem tiefen Missverständnis hinsichtlich der Art dieses Einflusses. Dieses Missverständnis hat seinen Ursprung im Spanien Anfang der vierziger Jahre, als gewisse konservative Kleriker und Mitglieder der extremen politischen Rechten das Opus Dei einbinden wollten in ihr Projekt einer Einheitspartei – sowohl im Religiösen als auch im Zivilen. Der heilige Josefmaria widersetzte sich dem kategorisch. Die Initiatoren sahen hinter einer solchen „Verweigerung der Mitarbeit“ den Versuch, ihnen beim Zugriff auf die Macht Konkurrenz zu machen – eine Annahme, die dann um die Welt ging. Der wahre Grund aber war, dass das Opus Dei sich als ein nach Gottes Willen rein geistliches Werk verstand. 

In Wirklichkeit gibt es keinen Widerspruch zwischen einer Einflussnahme auf die Gesellschaft und der Tatsache, eine ausschließlich geistliche Einrichtung zu sein. Dass echte Spiritualität nur am Rande dieser Welt möglich sei, ist eine überholte Vorstellung. Das Zweite Vatikanische Konzil hat sich ausführlich in diesem Sinn geäußert. Und andererseits: Zu glauben, dass eine geistliche Beeinflussung der Gesellschaft nur mit Hilfe politischer Macht wirksam sein kann, ist eine „klerikale“ Idee, die keinen Begriff Vorstellung vom Abenteuer der ersten Christen hat. 

Die schiere Vorstellung eines politischen Opus Dei widerstrebte dem heiligen Josefmaria zutiefst. „Wenn das Opus Dei jemals Politik getrieben hätte, und wäre es auch nur für die Dauer einer Sekunde, würde ich in diesem selben Moment der Verirrung das Werk verlassen haben. […] Jedes einzelne Mitglied, ob Mann, ob Frau, besitzt in zeitlichen Belangen eine absolute persönliche und von allen respektierte Freiheit nebst der daraus folgenden, logischerweise ebenfalls persönlichen Verantwortlichkeit.“ Die Realität gab ihm schon damals Recht, denn wenn es Mitglieder des Opus Dei gab, die sich in der Politik engagierten, dann fand man sie in durchaus verschiedenen politischen Gruppierungen. 

Der Einfluss des Opus Dei zeigt sichalso nicht in der politischen Farbe seiner Mitglieder und auch nicht in ihrer gesellschaftlichen Stellung oder in der Wahl ihres Berufes. In all diesen Bereichen unterscheiden sie sich in nichts von den anderen Katholiken ihres jeweiligen Landes. Jedoch findet man unter Menschen, die in Kontakt mit dem Opus Dei stehen – ob Mitglieder oder nicht, ob Katholiken oder Nichtkatholiken – ein besser gebildetes Gewissen und ein weiter entwickeltes soziales Bewusstsein, als sie es vermutlich ohne die Bildung hätten, die sie im Opus Dei erhalten. Sie versuchen, weniger materialistisch, weniger egozentrisch und dienstbereiter zu werden. Sie bemühen sich, besser zu arbeiten, an die anderen zu denken, ihre Position nicht für persönliche Vorteile auszunutzen. Sie überwinden sich leichter, wenn es schwierig wird, das Gute zu tun. Und vor allem bilden sie keine Einheitspartei, sondern lieben die persönliche Freiheit und die Meinungsvielfalt. 

Dies nun wirkt sich indirekt auf die ganze Gesellschaft aus, auf ganz natürliche Weise und ohne dass eine kirchliche Institution wie das Opus Dei so etwas politisch steuern müsste. Daher garantiert dieser Einfluss einen echten Pluralismus und reale Lösungen für die gesellschaftlichen Probleme. 

Ich für meinen Teil bin glücklich, dass das Opus Dei keine irdische Macht besitzt und niemals zu einer simplen Interessengruppe verkommen ist. Aber offen gesagt wünschte ich mir, dass der Einfluss seiner Botschaft viel größer wäre. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Botschaft nicht nur dem Leben jedes einzelnen einen tiefen Sinn geben, sondern auch einen Beitrag zum Wohl der ganzen Gesellschaft leisten kann.

von Msgr. Peter Rutz, Regionalvikar der Prälatur Opus Dei in der Schweiz, Beitrag in Le Temps, Genf 02.10.2008, übersetzt aus dem Französischen