Der Papst über den pädagogischen Wert der Beichte

Ansprache von Papst Benedikt XIV. vom 25. März 2011 an die Teilnehmer eines Kurses über das „Forum internum“

Ich möchte heute mit euch über einen Aspekt nachdenken, der manchmal nicht genügend beachtet wird, dem aber große spirituelle und pastorale Bedeutung zukommt: den pädagogischen Wert der sakramentalen Beichte. Auch wenn die Objektivität bezüglich der Wirkungen des Sakraments und sein korrekter, den Normen des Bußritus entsprechender Vollzug immer gewahrt werden müssen, ist es nicht unangebracht, darüber nachzudenken, wie es zur Glaubenserziehung sowohl des Priesters als auch des Pönitenten beitragen kann. Die gläubige und großzügige Bereitschaft der Priester, nach dem Vorbild der großen Heiligen der Geschichte, vom hl. Jean Marie Vianney und dem hl. Johannes Bosco, vom hl. Josemaria Escrivá bis zum hl. Pio da Pietrelcina, vom hl. Giuseppe Cafasso bis zum hl. Leopold Mandić, Beichte zu hören, zeigt uns allen, daß der Beichtstuhl ein wirklicher »Ort« der Heiligung sein kann.

Auf welche Weise erzieht das Bußsakrament? In welcher Weise hat sein Vollzug – zuallererst für die Beichtväter – einen erzieherischen Wert? Wir könnten von der Erkenntnis ausgehen, daß das Priesteramt einen einzigartigen und privilegierten Beobachtungspunkt darstellt, von dem aus man täglich die Großartigkeit der göttlichen Barmherzigkeit betrachten kann. Wie oft erlebt der Priester bei der Feier des Bußsakraments wahre Bekehrungswunder, die dadurch, daß sie »die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person « (Enzyklika Deus caritas est, 1) neu aufbauen, seinen eigenen Glauben stärken. In Wirklichkeit bedeutet Beichte abnehmen, so viele »professiones fidei« gegenwärtig zu erleben, wie es Pönitenten gibt, und das Handeln des barmherzigen Gottes in der Geschichte zu betrachten, die heilbringenden Wirkungen des Kreuzes und der Auferstehung Christi zu jeder Zeit und für jeden Menschen spürbar zu greifen. Nicht selten steht der Priester wirklich vor existentiellen und spirituellen Dramen, die in menschlichen Worten keine Antwort finden, die aber von der verzeihenden und verwandelnden göttlichen Liebe aufgefangen und angenommen werden: »Wären eure Sünden auch rot wie Scharlach, sie sollen weiß werden wie Schnee« (Jes 1,18). Den Abgrund des menschlichen Herzens, auch seine dunklen Seiten kennenzulernen und gewissermaßen aufzusuchen, stellt einerseits die Menschlichkeit und den Glauben des Priesters selbst auf die Probe, während es anderseits in ihm die Gewißheit nährt, daß das letzte Wort über das Böse des Menschen und der Geschichte von Gott, von seiner Barmherzigkeit kommt, die alles neu zu machen vermag (vgl. Offb 21,5). Wieviel kann der Priester von vorbildlichen Pönitenten aus deren spirituellem Leben, durch die Ernsthaftigkeit, mit der sie die Gewissenserforschung vornehmen, durch die Transparenz im Erkennen ihrer Sünden und durch ihren Gehorsam gegenüber der Lehre der Kirche und den Hinweisen des Beichtvaters lernen! Durch die Spendung des Bußsakraments können wir tiefe Unterweisungen in Demut und Glauben erhalten!

Sie ist für jeden Priester ein starker Ruf, sich seiner eigenen Identität bewußt zu werden. Niemals könnten wir allein kraft unserer Menschlichkeit die Beichten der Brüder und Schwestern hören! Sie kommen deshalb zu uns, weil wir Priester dem ewigen Hohenpriester Christus gleichgestaltet und dazu befähigt sind, in seinem Namen und in seiner Person zu handeln und Gott, der vergibt, erneuert und verwandelt, wirklich gegenwärtig zu machen. Der Vollzug des Bußsakraments hat für den Priester einen pädagogischen Wert im Hinblick auf seinen Glauben, auf die Wahrhaftigkeit und Armut seiner Person und nährt in ihm das Bewußtsein seiner sakramentalen Identität.

Welchen pädagogischen Wert hat das Bußsakrament für die Pönitenten? Wir müssen voraussetzen, daß das vor allem von der Wirkung der Gnade und von den objektiven Wirkungen des Sakraments in der Seele des Gläubigen abhängt. Sicherlich ist die sakramentale Wiederversöhnung einer der Augenblicke, in denen die persönliche Freiheit und das Selbstbewußtsein dazu aufgerufen sind, sich besonders offenkundig zum Ausdruck zu bringen. Vielleicht auch deshalb, weil in einer Zeit des Relativismus und des daraus folgenden geschwächten Selbstbewußtseins die sakramentale Praxis geschwächt wurde. Die Gewissenserforschung hat einen wichtigen pädagogischen Wert: Sie erzieht dazu, mit Ehrlichkeit auf das eigene Leben zu schauen, es mit der Wahrheit des Evangeliums zu konfrontieren und es nicht nur nach menschlichen, sondern mittels der göttlichen Offenbarung veränderten Maßstäben zu bewerten. Die Auseinandersetzung mit den Geboten, den Seligpreisungen und vor allem mit dem Gebot der Liebe ist die erste große »Schule der Buße«.

In unserer von Lärm, Zerstreutheit und Einsamkeit gekennzeichneten Zeit kann das Gespräch des Pönitenten mit dem Beichtvater eine, wenn nicht sogar die einzige Gelegenheit sein, wirklich und gründlich angehört zu werden. Liebe Priester, versäumt nicht, der Ausübung des Bußdienstes im Beichtstuhl genügend Raum zu geben: Angenommen und angehört zu werden, ist auch ein menschliches Zeichen für die Annahme und Güte Gottes gegenüber seinen Kindern.

Sodann erzieht das vollständige Sündenbekenntnis den Pönitenten zur Demut, zur Anerkennung der eigenen Schwachheit und zugleich zum Bewußtsein von der Notwendigkeit der Vergebung Gottes und zum Vertrauen, daß die göttliche Gnade das Leben zu verwandeln vermag. Ebenso ist das Anhören der Ermahnungen und Ratschläge des Beichtvaters wichtig für das Urteil über die Handlungen des Pönitenten, für seinen geistlichen Weg und seine innere Heilung. Vergessen wir nicht, wie viele Bekehrungen und wie viele wirklich heiligmäßige Existenzen in einem Beichtstuhl ihren Anfang genommen haben! Die Annahme der Buße und das Hören der Worte »So spreche ich dich los von deinen Sünden« stehen schließlich für eine wahre Schule der Liebe und der Hoffnung, die zum vollen Vertrauen in Gott, die in Jesus Christus offenbar gewordene Liebe, zur Verantwortung und zum Bemühen um ständige Umkehr führt.

Liebe Priester, daß wir als erste die göttliche Barmherzigkeit erfahren und zu ihren demütigen Werkzeugen werden, möge uns zu einer immer treueren Spendung des Bußsakraments und zu einer tiefen Dankbarkeit gegenüber Gott führen, der »uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat« (2 Kor 5,18). Der allerseligsten Jungfrau Maria, »Mater misericordiae« und »Refugium peccatorum« (Mutter der Barmherzigkeit und Zuflucht der Sünder), vertraue ich die Früchte eures Kurses über das Forum Internum und den Dienst aller Beichtväter an, während ich euch mit großer Zuneigung segne.

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