"Das aufstrahlende Licht aus der Höhe" ist allein Christus

Die Predigt Papst Benedikts XVI. am Hochfest der Erscheinung des Herrn 2006

Liebe Brüder und Schwestern!

Das Licht, das in der Weihnachtsnacht aufstrahlte und die Grotte von Bethlehem erleuchtete, wo Maria, Josef und die Hirten schweigend anbeteten, glänzt und offenbart sich am heutigen Tag allen Menschen. Die Erscheinung des Herrn ist ein Geheimnis des Lichts, was symbolisch durch den Stern zum Ausdruck kommt, der den Weisen auf ihrer Reise vorangegangen ist. Die wahre Lichtquelle, "das aufstrahlende Licht aus der Höhe" (Lk 1,78), ist allein Christus. Im Weihnachtsmysterium fällt der Glanz Christi auf die ganze Erde und verbreitet sich wie in konzentrischen Kreisen. Zuallererst umstrahlt er die Heilige Familie von Nazaret: Die Jungfrau Maria und Josef werden von der göttlichen Gegenwart des Jesuskinds erleuchtet. Das Licht des Erlösers erscheint dann den Hirten von Bethlehem, die aufgrund der Botschaft des Engels schnell zur Grotte eilen, wo sie das "Zeichen" finden, das ihnen vorausgesagt wurde: ein Kind, "das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt" (Lk 2,12). Zusammen mit Maria und Josef stellen die Hirten den "Rest" des Volkes Israel dar, die Armen, die "anawim", denen die Frohe Botschaft verkündet wird. Schließlich erreicht der Strahl Christi auch die Heiligen Drei Könige. Sie stehen für die Heidenvölker. Nur die Paläste der Mächtigen in Jerusalem bleiben im Schatten. Dort wird von der Geburt des Messias paradoxerweise ausgerechnet von den Weisen berichtet, und diese Nachricht löst nicht Freude aus, sondern Furcht und Feindseligkeit. Der Plan Gottes ist ein Geheimnis: "Das Licht kam in die Welt, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Taten waren böse" (Joh 3,19).

Aber was ist dieses Licht? Ist es nur eine eindrucksvolle Metapher oder entspricht dieses Bild der Realität? Der Apostel Johannes schreibt in seinem ersten Brief: "Gott ist Licht und keine Finsternis ist in ihm" (1 Joh 1,5). Und später fügt er hinzu: "Gott ist die Liebe" (1 Joh 4,16). Wenn wir diese beiden Aussagen miteinander verbinden, dann helfen sie uns, das alles besser zu verstehen: Das Licht, das zu Weihnachten erscheint und sich heute allen Völkern offenbart, ist die Liebe Gottes, die in der Person des Fleisch gewordenen Wortes Gestalt angenommen hat. Von diesem Licht angezogen, kommen die Weisen aus dem Morgenland. Im Geheimnis der Epiphanie können wir somit neben der Ausstrahlungsbewegung nach außen hin auch eine Anziehungsbewegung zum Mittelpunkt ausmachen. Letztere führt die Bewegung, die schon im Alten Bund eingeschrieben war, zur Vollendung. Der Urheber dieser Dynamik ist der eine und dreifaltige Gott, der alles und jeden an sich zieht. Die Fleisch gewordene Person des Wortes zeigt sich uns auf diese Weise als Prinzip der allgemeinen Versöhnung und Vereinigung (vgl. Eph 1,9-10). Jesus ist das letzte Ziel der Geschichte, der Ankunftsort, der nach dem "Exodus" wartet, diesem von Gott vorhergesehenen Erlösungsweg, der in Jesu Tod und in seiner Auferstehung zum Höhepunkt gelangt. Deswegen ist am Hochfest der Erscheinung des Herrn in der Liturgie die so genannte "Osterankündigung" vorgesehen: Das Kirchenjahr fasst nämlich das ganze Heilsgeschichte zusammen, in deren Mittelpunkt das "Triduum unseres gekreuzigten, begrabenen und auferstandenen Herrn" steht.

In der Weihnachtszeit kehrt in der Liturgie häufig folgender Vers von Psalm 98 als Kehrvers wieder: "Der Herr hat sein Heil bekannt gemacht und sein gerechtes Wirken enthüllt vor den Augen der Völker" (Vers 2). Die Kirche möchte mit diesen Worten die "epiphanische" Dimension der Inkarnation hervorheben: Die Menschwerdung des Sohnes Gottes, sein Eintritt in die Geschichte, bildet den Höhepunkt der Selbstoffenbarung Gottes gegenüber Israel und allen Völkern. Im Kind von Bethlehem zeigt sich Gott als armseliger Mensch und "wie ein Sklave", ja schon vorzeitig gewissermaßen als Gekreuzigter (vgl. Phil 2,6-8). Wir stehen hier vor dem christlichen Paradoxon. Aber gerade diese Verborgenheit stellt die beredsamste "Offenbarung" Gottes dar: Die Demut, die Armut, ja selbst die Schmach der Passion lassen ihn uns wahrhaftig als Gott begreifen. Das Antlitz des Sohnes offenbart uns vollkommen getreu das Antlitz des Vaters. Und aus diesem Grund ist das Weihnachtsgeheimnis, um es so auszudrücken, insgesamt eine "Epiphanie". Die Erscheinung vor den Heiligen Drei Königen fügt dem Plan Gottes nicht irgendetwas Seltsames hinzu, sondern enthüllt einen Aspekt, der ewigen Wert besitzt und das Wesen dieses Heilsplanes berührt, nämlich "dass die Heiden Miterben sind, zu demselben Leib gehören und an derselben Verheißung in Christus Jesus teilhaben durch das Evangelium" (Eph 3,6).

Oberflächlich betrachtet könnten die Treue Gottes zu Israel und seine Offenbarung vor den Völkern als zwei widersprüchliche Aspekte erscheinen. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch dabei um die beiden Seiten ein- und derselben Medaille. Denn gemäß der Schrift offenbart Gott seine Herrlichkeit gerade auch aus der Treue zu seinem Liebesbund mit dem Volk Israel heraus den anderen Völkern. Huld und Treue (vgl. Ps 88,2 bzw. Ps 84,11) sind der Inhalt der Herrlichkeit Gottes und machen seinen "Namen" aus, den die Menschen aller Sprachen und Nationen kennen und verherrlichen sollen. Aber dieser "Inhalt" ist von der "Methode" nicht zu trennen, die Gott gewählt hat, um sich zu zeigen – nämlich die Methode der vollkommenen Treue zum Bund, der seinen Höhepunkt in Christus findet. Unser Herr Jesus ist zur gleichen Zeit und auf untrennbare Weise "das Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel" (Lk 2,32), wie der von Gott inspirierte alte Mann Simeon ausruft, der das Jesuskind in seinen Arm nimmt, ehe es seine Eltern im Tempel darstellen. Das Licht, das die Heiden erleuchtet – das Licht des heutigen Hochfests von der Erscheinung des Herrn – geht von der Herrlichkeit Israels aus, von der Herrlichkeit des Messias, der gemäß der Schrift in der "Stadt Davids, die Bethlehem heißt", geboren wurde (Lk 2,4). Die Sterndeuter aus dem Osten huldigten einem einfachen Kind, das in den Armen seiner Mutter Maria lag, denn in ihm erkannten sie die Quelle des zweifachen Lichtes wieder, das sie geführt hatte: das Licht des Sterns und das Licht der Heiligen Schrift. Sie erkannten in ihm den König von Judäa, die Herrlichkeit Israels, aber auch den König aller Menschen.

Im liturgischen Kontext der "Erscheinung des Herrn" werden auch das Geheimnis der Kirche und ihre missionarische Dimension offenbar. Die Kirche ist gerufen, den Glanz Christi in der Welt aufstrahlen zu lassen, und zwar indem sie ihn widerspiegelt, so wie der Mond das Licht der Sonne reflektiert. In der Kirche sind die alten Verheißungen über die heilige Stadt Jerusalem, wie wir sie zuvor so wunderbar bei Jesaja gehört haben, in Erfüllung gegangen: "Auf, werde licht, Jerusalem, denn es kommt dein Licht … Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz" (Jes 60,1-3). Das müssen die Jünger Christi vollbringen: Da sie von ihm gelernt haben, wie man ein Leben nach den Seligpreisungen führt, müssen sie durch das Zeugnis der Liebe alle Menschen zu Gott führen: "So soll euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen" (Mt 5,16). Wenn wir diese Worte Jesu hören, dann müssen wir, die wir Glieder der Kirche sind, die ganze Unzulänglichkeit unserer menschlichen, von der Sünde gezeichneten Natur spüren. Die Kirche ist heilig, aber sie besteht aus Männern und Frauen, die ihre Grenzen und Fehler haben. Christus und nur er allein kann unsere Schwachheit verwandeln und uns immer wieder erneuern, indem er uns seinen Heiligen Geist schenkt. Er ist das Licht der Völker, "lumen gentium", das die Welt durch seine Kirche erleuchten möchte (vgl. Dogmatische Konstitution "Lumen gentium" 1,1).

"Wie soll das geschehen?", fragen wir mit den Worten, die die Jungfrau an den Erzengel Gabriel richtete. Und sie, die Mutter Christi und Mutter der Kirche, ist es auch, die uns antwortet: mit ihrem Beispiel der vollständigen Verfügbarkeit für den Willen Gottes – "fiat mihi secundum verbum tuum" (Lk 1,38). Maria zeigt uns, dass wir "Erscheinung" des Herrn sein können, wenn unser Herz für die Kraft der Gnade offen ist und wenn wir auf das Wort ihres Sohnes hören, der das Licht der Welt und das Endziel der Geschichte ist.

Amen!