Die Seligpreisungen (III): Das Megafon Gottes

«Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden». Der Schmerz kann eine Erfahrung sein, die uns hilft, Gott anzunehmen. Text für junge Menschen über die Seligpreisungen, vorgeschlagen von Papst Franziskus zur Vorbereitung auf den Weltjugendtag in Polen. (1. April 2016)

Er war kein Meister wie die anderen. Die Scharen von Leuten, die auf den Hängen der Hügel lagerten, lauschten überrascht seiner Predigt, die neue Worte enthielt. Er hatte die Armen selig genannt und versprach ihnen das Reich Gottes.

Wahrscheinlich machte der Herr eine Pause, bevor er die zweite Seligpreisung aussprach, damit die erste in die Herzen eindringen konnte. Dann sagte er: „Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden“[1].

Als diese Worte ertönten, hoben einige den Kopf. Sie waren nicht glücklich, deshalb hatten sie ihr Zuhause verlassen und sich tagelang auf die Suche nach diesem Rabbi gemacht, der die Herzen entzündete. Sie wollten von einer Krankheit geheilt werden, der Ungerechtigkeit entkommen, ihr Leben ändern oder die Hoffnung auf Gott wiedererlangen. Aber weinen? Welcher Retter verspricht denen, die ihm folgen, Tränen?

Überrascht dachten sie nach über die Worte des Meisters. Nachdem er sich den Armen zugewandt hat, zeigt er nun den Weinenden den Weg. Er ist ein Messias, der nicht nur zu den Reichen spricht, noch nur zu denen, die viele Talente haben, oder denen alles im Leben gelingt. Dieser Meister hat eine Botschaft für alle; denn wer hat noch niemals geweint? Wer zweifelt daran, dass Traurigkeit, Lustlosigkeit oder Schmerz früher oder später im eigenen Leben auftauchen?

Gottes Sprachrohr

Wozu ist Gott nötig? Das ist eine Frage, die sich in bestimmten Augenblicken unseres Lebens erheben kann. Es gibt Zeiten, in denen wir interessantere oder dringendere Dinge zu tun haben. Kopf und Herz beschäftigen sich mit diesem anderen, und die Beziehung zum Herrn wirkt wie eine Last, voller Vorschriften und Regeln (z.B. sonntags zur Messe zu gehen), die nichts bringen. Es lohnt sich nicht.

Wenn wir in unserem Leben wie auf ruhigem Meer segeln, kann uns der Eindruck, Kapitän auf eigenem Schiff zu sein, sogar dazu führen, an Gott zu zweifeln. Dennoch genügt weniges, damit wir begreifen, wie zerbrechlich das Schiff ist, das wir steuern. Eine Krankheit, Probleme in der Familie, eine unglückliche Liebe oder das Gefühl, dass nichts uns ganz erfüllen kann, sind Erfahrungen, die alles, was uns umgibt, überschatten können.

Der Schriftsteller C.S. Lewis deutet diese physisch oder psychisch schmerzhaften Momente als einen deutlichen Ruf Gottes. „Gott flüstert in unseren Freuden“ – so sagt er-, „er spricht in unserem Gewissen, aber er schreit in unserem Schmerz. Der Schmerz ist sein Megafon, um die taube Welt zu wecken“[2].

In der Tat, Gott ist immer bei uns, und im täglichen Leben dringen seine Eingebungen leise zu uns. Sie drängen sich nicht auf, sondern wirken wie Vorschläge. Daher ist es nicht verwunderlich, dass innerer Lärm, Sorgen odereigene Interessen, die unseren Geist beschäftigen, seine Stimme übertönen. Wir vergessen den Herrn einfach und drücken ihn innerlich in die Ecke.

Wir stellen uns taub. Doch trotzdem ist Gott in schwierigen Momenten an unserer Seite,auch wenn er unseren Schmerz weder wünscht noch ihn provoziert, denn er verlässt uns niemals.

Wenn dich jemand bei deinem Namen nennt…

Die Leiden, die im Leben auftreten, können durch eine objektive Situation hervorgerufen sein, den Tod eines Familienangehörigen, eine Zeit finanzieller oder beruflicher Schwierigkeiten, eine Krankheit usw. Es sind Probleme, deren Lösung nicht ganz in unseren Händen liegt. Bei solchen Gelegenheiten können wir von Maria Magdalena lernen, einer der vielen Personen, die wir wie Jesus selbst, die Muttergottes, den heiligen Petrus oder den heiligen Paulus im Evangelium weinen sehen.

Manchmal genügt es, dass uns jemand liebevoll bei unserem Namen nennt, damit unser Herz leichter wird.

Zwei Tage nach der Kreuzigung des Herrn kommt Maria zum Grab des Herrn, um seinen Leichnam zu salben. Ihr Schmerz ist kein Hindernis, das sie daran hindern würde, Jesus ein letztes Mal zu dienen. Wie viele Erinnerungen werden sie an diesem Morgen überflutet haben, während sie allein durch die Straßen Jerusalems lief! Aber als sie zum Grab kommt und es leer findet, bricht sie zusammen. Nicht einmal der Trost, den Leichnam des Herrn zu finden, bleibt ihr! Alles hat man ihr genommen! Eins uns andere Mal fragt sie Gott: Warum? Warum?

„Frau, warum weinst du?“[3], fragt eine Stimme. Sie meint, es sei der Gärtner, und antwortet: „Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast. Dann will ich ihn holen“. Sie konnte sich nicht vorstellen, was geschehen war. Gott allein kennt den Grund für Dinge, die uns an den Rand der Verzweiflung bringen können. „Maria!“ sagt der Herr. „Rabbuni! Meister!“ ruft sie vor Freude, als sie ihn erkennt.

„Maria!“ Als sie gerufen wird, öffnen sich Maria Magdalenas Augen wirklich. Manchmal genügt es, dass uns jemand liebevoll bei unserem Namen nennt, damit unser Herz leichter wird. Wenn wir keinen Sinn im Leiden finden und nicht ein noch aus wissen, hilft es, zum Tabernakel zu gehen, das Problem in den Händen Gottes zu lassen und auf den Herrn zu hören, der uns beim Namen ruft.

Der angekettete Elefant

Wer den Herrn in seinem täglichen Leben finden will, braucht aber keine Tragödie zu erwarten, um von Gott getröstet zu werden, sondern die kleinen Enttäuschungen, Entmutigungen, Klagen oder Widrigkeiten jeden Tages sind schon Gelegenheiten, Seine Hilfe zu suchen.

Eine Ursache für Schmerz kann das wiederholte Vorkommen unserer persönlichen Schwächen und Erbärmlichkeiten sein. Selbst wenn wir denken, dass wir nichts Schlimmes in unserem Leben getan haben, behält unser Herz doch jede Wunde in Erinnerung. Auf geheimnisvolle Weise wird die Seele nach und nach müde von den begangenen Sünden, den großen wie den kleinen. So fühlen wir uns eines Tages erschöpft, demotiviert oder verachten uns selbst, ohne zu wissen, warum. In diesem Zustand sind wir besonders schwach. Deshalb ist es nicht gut, lange darin zu verbleiben; denn Traurigkeit führt zur Sünde. Wenn wir uns wütend, gelangweilt odererfolglos fühlen, sind wir in der Lage, große Dummheiten zu begehen. „Ein Abgrund ruft den anderen“[4], sagt die Bibel. „In unser aller Leben gibt es Dunkelheit“, sagt Papst Franziskus, „sogar Momente, in denen alles, auch im eigenen Gewissen, dunkel ist, nicht wahr? Im Dunkeln gehen heißt, selbstzufrieden sein, überzeugt davon sein, keine Erlösung zu brauchen. Das ist die Dunkelheit!“[5] Wie der Papst sagt, besteht die Gefahr, uns mit unserer Schwäche abzufinden und die Bitterkeit der Bekehrung vorzuziehen; denn Bekehrung bedeutet Wachstum, Kampf, Reifung. Wir denken: „Ich müsste arbeiten, studieren“, „ich sollte weniger mit meinen Eltern streiten, sie zu verstehen versuchen“, „ich müsste auf dieses Laster verzichten“…, aber oft bleibt es beim Wunsch.

Damit die Elefanten den Zirkus nicht verlassen konnten, band man sie früher mit einer schweren Kette an einen Pflock. Die riesigen Tiere besitzen außergewöhnliche Kräfte und könnten sich mit einem Schlag befreien. Warum taten sie es nicht? Sie waren von Geburt an gewöhnt, an diesen Pflock angebunden zu sein. Als sie noch jung und schwächer waren, versuchten sie zu entkommen, verloren aber bald die Lust zu ziehen. Später war ihnen das Ausmaß ihrer eigenen Kraft nicht bewusst. So blieben sie ergeben angekettet.

Uns kann ähnliches passieren: Wir haben vielleicht lange gegen Fehler gekämpft, gegen die wir nicht ankamen, und haben schließlich aufgegeben. Früh am Morgen aufstehen, studieren oder lernen, was wir geplant haben, keusch sein, aufrichtig in der Beichte oder liebenswürdig, wenn andere uns widersprechen, all das kann uns wie ein Kampf vorkommen, den wir nicht gewinnen können. Aber das ist nicht wahr. Mit Gottes Hilfe müssen wir es weiter versuchen. Vielleicht wird das, was vorher unmöglich war, jetzt mit ein bisschen Überwindung doch möglich. Er bittet uns nur darum, dass wir die Hand nach der Seinen ausstrecken.

Wer noch nicht reif genug ist, in sich selbst die Ursache seiner Probleme zu sehen, ist schnell bereit zu rebellieren oder anderen die Schuld zu geben (der Familie, den Freunden, dem „System“ usw.). Vielleicht hält uns die Sünde gefangen, und wir schaffen es nicht, den Blick zu den anderen und zu Gott zu erheben. Wir sehen die Nöte anderer nicht, sehen nur die eigenen.

Der erste Schritt, uns vom Schmerz zu befreien, kann darin bestehen, die Menschen, die uns umgeben mit anderen Augen zu sehen, ihnen nicht die Schuld für unser Leiden zu geben. Zu Hause helfen, uns für die Probleme unserer Eltern interessieren, einem Freund, der uns braucht, Zeit und Aufmerksamkeit zu widmen, uns engagieren in einer Hilfsorganisation. So etwas kann ein guter Anfang sein. Unter anderem werden wir dabei entdecken, dass wir eine enorme Fähigkeit haben, andere glücklich zu machen. Das zu versuchen lohnt sich!

„Du gehst und kommst immer weiter…“

Der heilige Josefmaria stellte die Frage: „Keine Freude? -Denke sofort: Da ist ein Hindernis zwischen mir und Gott. – Fast immer ist es so“[6]. Um aus einem Tief herauszukommen, hilft manchmal im Leben eine gute Beichte. Sind wir noch nicht bereit, eine Beichte abzulegen, so können wir wenigstens unser Gewissen erforschen und anerkennen, dass wir uns ändern sollten. Wenn unser Stolz uns nicht daran hindert, wird Gott uns die Kraft geben, die uns fehlt, um Verzeihung zu bitten.

Sind wir noch nicht bereit, eine Beichte abzulegen, so können wir wenigstens unser Gewissen erforschen und anerkennen, dass wir uns ändern sollten.

Die Hindernisse, die auftauchen können wie: „Besser beichte ich an einem anderen Tag“, „Ich schaffe es nicht, das zu sagen“, „Der Priester wird mich nicht verstehen“ – sind Fallen, die der Teufel uns stellt und die wir mutig überspringen sollten. Wir dürfen ihn nicht siegen lassen! Wenn wir uns in der Gegenwart Gottes vor dem Priester niederknien, fällt nicht nur die Maske aus Lügen von unserer Seele, die sie schwach aufrecht hielt, sondern der Herr erfüllt uns mit Seiner Gnade.

„Wir meinen, zur Beichte zu gehen sei wie in die Reinigung zu gehen. Aber Jesus ist keine Reinigung, sondern im Beichtstuhl ereignet sich die Begegnung mit Dem, der uns so erwartet, wie wir sind. Sieh, Herr, so bin ich. Wir schämen uns, die Wahrheit zu bekennen: Ich habe das getan und das gedacht (…). Sich schämen bedeutet, demütig zu sein!“ Daher sollten wir beichten, „mit Vertrauen, sogar mit Freude, ohne etwas zu beschönigen. Vor Gott dürfen wir uns nicht maskieren! Die Wahrheit sagen. Voller Scham? Heilige Scham…“. Und etwas verschmitzt fragt der Papst: „ ‚Und wenn ich morgen wieder dasselbe tue?‘ Dann beichtest du eben wieder, immer wieder… Er erwartet uns immer“[7]. Bei anderer Gelegenheit sagte er: „Gott wird nicht müde, uns zu vergeben. Wir sind es, die müde werden, um Verzeihung zu bitten“.

Nur so wird unsere Schwäche uns nicht unsicher machen, sondern uns mit der Freude derer erfüllen, die wissen, dass sie Kinder Gottes sind. Der heilige Josefmaria drückte es so aus: „Traurig? ... Weil du unterlegen bist in diesem Kampf? – Nein! Froh! Denn beim nächsten Mal wirst du mit der Erfahrung von heute siegen“.[8]

So begreifen wir, dass die Tränen, die uns bis hierher gebracht haben, die inneren Leiden, unsere Schwächen oder Zweifel, einen Sinn hatten. Wir haben uns selbst besser kennengelernt und vor allem wissen wir, dass wir mit der Hilfe Gottes rechnen können. Wenn wir unsere Belastungen in die Hände Gottes legen und den Frieden und die Freude der Beichte erleben, verstehen wir schließlich, warum Jesus die selig nannte, die weinen.

* * *

Fragen für das persönliche Gebet:

Lebe ich den Glauben nur, wenn er mir nützlich scheint? Denke ich an Gott nur, wenn ich ihn um etwas bitten möchte? Könnte ich nicht jeden Tag einige Minuten mit Gott reden oder ein Gebet sprechen, um Gott nicht zu vergessen, besonders in Zeiten, in denen mich andere Dinge sehr beschäftigen? Könnte ich in der geistlichen Leitung besprechen, wie ich täglich Umgang mit Gott haben kann?

Akzeptiere ich, wenn die Dinge nicht so laufen, wie ich möchte? Bitte ich Gott, dass Er mir hilft, Seinen Willen zu erkennen und diese Gelegenheiten zu nutzen, Ihm näherzukommen?

Wenn ich wütend werde oder wenn eine Situation schwierig wird, denke ich dann darüber nach, was ich ändern könnte? Kritisiere ich immer nur die anderen, ohne meinen Teil der Verantwortung zu sehen? Bitte ich um Verzeihung, wenn ich merke, dass ich mich geirrt oder jemanden verletzt habe – auch, wenn es mir schwerfällt?

Was hindert mich daran, Gott in der Beichte um Vergebung zu bitten? Wenn ich bereits regelmäßig beichte, was tue ich, um zu lernen, besser zu beichten? Beichte ich in der Haltung dessen, der nur sein Gewissen erleichtern will, oder bitte ich den Herrn wirklich von ganzem Herzen um Verzeihung?

J. Narbona /J. Bordonaba


[1] Mt, 5, 4.

[2] C.S. Lewis, Über den Schmerz (Brunnen 1991).

[3] Joh 20, 11 – 18.

[4] Ps 42, 7.

[5] Papst Franziskus, Homilie, 30.04.2013.

[6] Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 662.

[7] Papst Franziskus, Predigt, 30.04.2013.

[8] Hl. Josefmaria, Kreuzweg, 3. Station, Nr.3.