Cherubisch

Ein Portrait der britischen Erziehungsministerin Ruth Kelly in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Der erste Wahlsieg New Labours 1997 wird älter und älter, doch eines der jungen Gesichter, die man damals in Westminster zum erstenmal sah, sieht noch immer aus wie vor neun Jahren. Überhaupt ist "jung" so etwas wie das eingetragene Markenzeichen der britischen Erziehungsministerin Ruth Kelly, deren Sisyphusaufgabe es ist, Tony Blairs umstrittene Schulreformen durchs Parlament zu bringen. Als sie 1997 Labourabgeordnete wurde, zählte sie zuerst nur summarisch zu jener neuen politischen Gattung, mit der New Labour politische Stilgeschichte machen wollte: flotte, um nicht zu sagen kesse junge Frauen, die dem öffentlichen Bild einer hundert Jahre alt werdenden Männerpartei eine Frühlingskur angedeihen lassen sollten. Im Stil der neuen, etwas forcierten Jugendlichkeit jener Tage nannte man sie "Blair-Babes". Doch noch 1997 wurde Ruth Kelly als erstes "Babe" Mutter, pünktlich im ersten katholischen Ehejahr; und seither haben sich noch drei kleine Kellys dazugesellt. Zwischendurch ist die junge Mutter 2004 mit 36 Jahren die jüngste Kabinettsministerin der britischen Geschichte geworden. Damals hatte sie gesagt, Kabinett oder nicht, sie werde abends keine Akten mit nach Hause nehmen, damit die Familie etwas voneinander habe; und sie werde die Kinder auch immer noch selbst zu Bett bringen. Wenn sie so etwas mit ihrem cherubischen Lächeln sagt, können auch Zyniker nur dahinschmelzen. Einer von denen, die zu begreifen suchen, wie diese Ministerin es schafft, jahrelang zwei Vollzeitbeschäftigungen samt vier Kleinkindern zu jonglieren und dabei immer noch auszusehen wie Frau Kelly, hat sogar die Theorie vorgetragen, Ruth müsse ein identischer Zwilling sein.

Sie selbst hält ihr Privatleben eisern privat. Das ist empfehlenswert, denn zur selben Zeit, da die Mär vom "Da Vinci Code" sich in die Phantasie der britischen Leser einzuschleichen begann, kam zutage, daß Frau Kelly dem "Opus Dei" angehöre. Das ist jene katholische Organisation, der in dem Schmöker die böse Hauptrolle zugeteilt wird. Überhaupt leuchten die Blicke angelsächsischer Verschwörungstheoretiker bei "Opus Dei" fast so hell wie bei "Jesuiten". Hinzu kommt, daß Blair eine heimliche Schwäche fürs Katholische hat. Frau Kelly hat für all das nur eine Entgegnung: "Es ist mein privates spirituelles Leben, und es ist nicht relevant für meinen Job." Ruth Kelly ist keine Verschwörerin, sie ist ganz einfach fromm. Als Journalistin beim "Guardian" war sie noch jeden Tag vor der Redaktionsarbeit zur Messe gegangen. Allerdings mischt sich tatsächlich auch politische Erfahrung in dieses Privatleben, denn Ruth war als katholisches Mädchen in Nordirland aufgewachsen, als die sogenannten "Unruhen" begannen. Der Vater war Apotheker. Um dem Bürgerkrieg zu entgehen, zog die Familie in den Süden der Insel, dann nach England, wo Ruth eines der angesehensten privaten Internate besuchte. Auf die "Westminster School" und ein Wirtschaftsstudium in Oxford und an der "London School of Economics" folgten vier Jahre als Journalistin von 1990 bis 1994, dann als Fachfrau in der Bank von England und schließlich der Eintritt in die Politik als "Babe" 1997. 2001, als Kelly zum nächsten Start in die Ministeretage des Schatzamts umzog, verlieh eine Zeitschrift ihr den Titel: "Minister to watch" - im Auge zu behalten! Es ist immer noch ein hübscher Anblick.

BERNHARD HEIMRICH

Frankfurter Allgemeine Zeitung